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Liefervertrag Kündigung – Anspruch auf Schadensersatz

Beendet ein Lieferant einen langjährigen Liefervertrag durch eine Kündigung, sitzt der Schock oftmals tief. Was für das Unternehmen gut funktionierte, scheint für den Lieferanten nicht mehr zu genügen. Der Händler fragt sich bei einer Kündigung des Vertrags, wie es um den Anspruch auf Weiterbelieferung oder Schadensersatz wegen Vertragsverletzung bzw. nach BGB oder dem GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) steht. Lieferanten argumentieren dann häufig damit, eine Restrukturierung sei notwendig, Ziele seien nicht erreicht worden etc. Dies bedeutet in der Praxis häufig die Ausdünnung des Händlernetzes und damit die Kündigung einer Vielzahl von Verträgen und Händlerbeziehungen. Sind Sie mit Ihrem Unternehmen von einer solchen Kündigung Ihres Vertrags betroffen, stellen sich folgende Fragen: Steht dem Unternehmen ein Belieferungsanspruch zu, ist die Kündigung also unwirksam, etwa aus kartellrechtlichen Gründen nach GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen)? Kann das Unternehmen bei Kündigung des Vertrags und der laufenden Geschäftsverbindung mit dem Lieferanten einen Ausgleichsanspruch wie ein Handelsvertreter und zusätzlich Schadensersatz verlangen?

Liefervertrag Kündigung – Urteil des OLG Hamm vom 14. Mai 2020

Zur Beantwortung dieser Fragen ziehe ich im Folgenden als spezialisierter Anwalt das Handelsrecht und auch kartellrechtliche Vorschriften des GWB heran und gehe dabei auch auf eine neue Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (OLG Hamm) vom 14. Mai 2020, Az: 18 U 93/19 ein. Dieses Urteil des OLG Hamm spricht insbesondere die wichtige Frage an, wie eine Vertragshändlerbeziehung (Vertragshändler) von einer reinen Käufer-Verkäufer-Beziehung (Eigenhändler) zu unterscheiden ist. Nur einem Vertragshändler steht in der Regel ein Ausgleichs- und Schadensersatzanspruch zu, einem Eigenhändler dagegen nicht.

Die Leitsätze der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm sind wie folgt:

1. Die Qualifikation als Vertragshändler setzt – im Unterschied zum Eigenhändler – die Integration oder Eingliederung des Händlers in das Vertriebsnetz des Herstellers bzw. Lieferanten, eine Vertriebspflicht des Unternehmens und eines Weisungsrechts des Lieferanten voraus. Der Vertrag des Händlers muss Pflichten für den Vertrieb und die Vermarktung der Produkte enthalten. Beim selektiven Vertrieb ist dies regelmäßig der Fall. 

2. Ein Dauerschuldverhältnis in Gestalt einer laufenden Geschäftsverbindung, die nun gekündigt ist, kann als „gesetzliches Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht“, nämlich als „geschäftlicher Kontakt“ aufgefasst werden, der besondere Schutzpflichten begründet. Eine Pflichtverletzung eines solchen Dauerschuldverhältnisses kann wegen einer vorzeitigen, nicht ausreichend auf die Interessen des Unternehmens Rücksicht nehmenden Beendigung der Belieferung und des Liefervertrags in Betracht kommen. Es ist also nicht erforderlich, dass ein konkreter Liefervertrag abgeschlossen wurde. Es reicht ein bloßer geschäftlicher Kontakt, der über eine längere Zeit bestand.

Ausgleichsanspruch bei Liefervertrag Kündigung

Zum Ausgleichsanspruch eines Vertragshändlers wiederholt das Urteil des OLG Hamm im Wesentlichen die Voraussetzungen aus der bisherigen Rechtsprechung. Ein Unternehmen, das kein Handelsvertreter ist, kann nur dann einen Ausgleichsanspruch (§89b HGB) verlangen, wenn sich das Rechtsverhältnis zwischen einem Vertragshändler und dem Hersteller oder Lieferanten nicht auf eine bloße Käufer-Verkäufer-Beziehung reduziert.

Erforderlich ist vielmehr, dass der Vertragshändler in der Weise in die Absatzorganisation des Herstellers oder Lieferanten eingegliedert war, dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang dem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hat. Dies ist dann der Fall, wenn er sich für den Vertrieb der Produkte des Lieferanten wie ein Handelsvertreter einsetzen musste und Pflichten unterlag, wie sie für einen Handelsvertreter typisch sind. Entscheidend ist also, dass sich das Unternehmen mit der Übernahme der Vertragspflichten einen bedeutenden Teil seiner unternehmerischen Freiheit abgegeben hat.

Die große Streitfrage in der Praxis ist regelmäßig, ob ein Vertragshändler in diesem Sinne vorliegt oder nur ein Vertrag über die Lieferung von Produkten mit einem Eigenhändler. Ein Vertragshändlervertrag erfordert einen für eine gewisse Dauer abgeschlossenen Rahmenvertrag, durch den sich der Vertragshändler verpflichtet, Waren des Herstellers oder Lieferanten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu vertreiben – insoweit ist er einem Eigenhändler vergleichbar. Durch diesen Vertragshändlervertrag wird der Vertragshändler im Gegensatz zum Eigenhändler jedoch zugleich in die Verkaufsorganisation des Herstellers bzw. Lieferanten eingegliedert und einer Vertriebspflicht und einem Weisungsrecht des Herstellers unterworfen.

Eingliederung in die Absatzorganisation

Will ein Unternehmer daher einen Ausgleichsanspruch geltend machen, muss er nachweisen, dass es ein Vertragshändler ist. Vertragshändler ist er dann, wenn er in die Verkaufsorganisation des Lieferant eingegliedert ist, zum Vertrieb der Vertragsprodukte verpflichtet ist und der Lieferant dem Unternehmer für die Art und Weise des Vertriebs produkt- oder tätigkeitsbezogenen Weisungen erteilen darf. Der Eigenhändler ist dagegen frei, ob er überhaupt und, falls ja, wie er die eingekauften Waren vertreibt und verkauft. 

Auch Maßnahmen zur Absatzförderung wie Werbung, Messebesuche oder die Zahlung von Listing Fees bedeuten nicht automatisch eine solche Eingliederung. Es handelt sich hierbei um Verhaltensweisen, die ein Eigen- oder auch ein Vertragshändler grundsätzlich bereits im eigenen Interesse vornimmt, um seine Verkäufe zu steigern. Auch eine ausschließliche Bezugsverpflichtung reicht für die Annahme, der Vertragshändler habe Aufgaben eines Handelsvertreters zu erfüllen, regelmäßig nicht aus. Erforderlich ist der Nachweis, dass das Unternehmen verpflichtet war, den Verkauf aktiv zu betreiben.

Indizien für die Stellung eines Unternehmens als Vertragshändler sind die Zuweisung eines bestimmten Absatzgebiets, die Gewährung eines Alleinvertriebsrechts für ein bestimmtes Gebiet oder Kundengruppen, ein Wettbewerbsverbot sowie insbesondere Informations- und Berichtspflichten.

Voraussetzungen für die Eingliederung

Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, prüfen die Gerichte stets im Einzelfall anhand der vertraglichen Vereinbarungen. Wettbewerbsverbote, Berichtspflichten oder Lagerhaltungspflichten sind in der Regel starke Anzeichen für eine Stellung als Vertragshändler. Hierzu zählen, insbesondere beim selektiven Vertrieb, Qualitätsanforderungen an den Internethandel und zusätzlich beim stationären Einzelhandel die Warenpräsentation im Geschäft. Wichtig ist, dass nach der neuen Vertikal-GVO 720/2022 die Qualitätsanforderungen an den Internethandel und den stationären Vertrieb unterschiedlich ausgestaltet sein dürfen. Über die Vertriebspflichten gibt also vor allem der Vertrag des Händlers Auskunft. Das GWB enthält hierzu keine Rechte und Pflichten. Die alleinige Verwendung von Bezeichnungen im Schriftverkehr mit Dritten, vornehmlich Kunden des Unternehmens, genügt dazu nicht. Auch ein Allein- oder Exklusivvertriebsrecht für ein bestimmtes Gebiet ist für sich allein kein ausreichendes Indiz für ein Vertragshändlerverhältnis, wenn es nicht mit der Übernahme einer Vertriebspflicht oder einer Weisungsgebundenheit verbunden ist. Nehmen Sie gerne per Mail oder telefonisch Kontakt wegen einer ersten Beratung mit mir auf.

Der Vertragshändler muss für den Ausgleichsanspruch außerdem verpflichtet sein, dem Hersteller oder Lieferanten seinen Kundenstamm zu übertragen, so dass sich dieser bei Vertragsende die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann. Dabei muss sich die Verpflichtung des Vertragshändlers zur Übertragung des Kundenstamms nicht ausdrücklich und unmittelbar aus dem schriftlichen Händlervertrag ergeben; sie kann auch aus anderen, dem Vertragshändler auferlegten Pflichten folgen.

Ein Sonderfall ist der Kommissionsagent. Kommissionsagent ist ein Unternehmen, wenn es ständig mit dem Verkauf von Waren in eigenem Namen und auf Rechnung des Lieferanten bzw. Herstellers betraut ist, so dass sie am wirtschaftlichen Erfolg allein in Form einer vereinbarten festen Provision beteiligt ist, und die Waren zu vorgegebenen Preisen und Konditionen zu vertreiben hat. In einem solchen Fall bedarf es keiner (gesonderten) vertraglichen Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstamms, weil diese Übertragungspflicht bereits gesetzlich geregelt ist.

Liefervertrag Kündigung – Anspruch auf Schadensersatz

Besteht kein Vertragshändlerverhältnis, wird es für Unternehmen wegen der Beendigung der Geschäftsbeziehung schwierig, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Bei einer laufenden Geschäftsbeziehung ohne schriftlichen Vertrag besteht allerdings ein Dauerschuldverhältnis. Ein solches Dauerschuldverhältnis kann als „gesetzliches Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht“, nämlich als „geschäftlicher Kontakt“ nach BGB aufgefasst werden, der besondere Schutzpflichten nach BGB begründet. Dies hat das OLG Hamm in seinem Urteil vom 14. Mai 2020 so festgestellt.

Das OLG Hamm geht jedoch nicht so weit, in der Kündigung des Vertrags und in der Einstellung der Belieferung des Unternehmens die Verletzung einer solchen Schutzpflicht zu sehen. Ein bloßer geschäftlicher Kontakt begründet keinen Anspruch auf die weitere ununterbrochene Belieferung. Besteht kein Belieferungsanspruch, kann die Nichtbelieferung keine Pflichtverletzung sein, die Schadensersatzansprüche begründen würde.

In Betracht kommt allenfalls eine Pflichtverletzung wegen einer vorzeitigen, nicht ausreichend auf die Interessen der Klägerin Bedacht nehmenden Beendigung der Belieferung im Fall der Kündigung des Vertrags. Eine Pflichtverletzung liegt folglich nur dann vor, wenn der Hersteller bzw. der Lieferant die Belieferung einstellt, ohne dem Unternehmen die drohende Liefervertragskündigung und Beendigung der Belieferung für einen bestimmten Zeitpunkt anzukündigen. Der Lieferant kann daher nach dieser Entscheidung des OLG Hamm verpflichtet sein, eine Frist für die Liefervertrag-Kündigung einzuhalten. Diese Frist beträgt regelmäßig nicht mehr als sechs Monate, weil auch ein Handelsvertreter- bzw. Vertragshändlervertrag mit höchstens sechs Monaten gekündigt werden kann.

Es gibt allerdings Einzelfallentscheidungen, die von einer einjährigen Kündigungsfrist ausgehen, wenn der geschäftliche Kontakt mehr als 20 Jahre bestand. Nach dem oben zitierten Urteil des OLG Hamm vom 14. Mai 2020 wird man in der Praxis nun von einer Kündigungsfrist von sechs Monaten ausgehen können. Eine Liefervertragskündigung und die Einstellung der Belieferung vor Ablauf dieser Frist kann daher das betroffene Unternehmen zum Schadensersatz verpflichten.

Belieferungsanspruch aus Kartellrecht

Ein Belieferungsanspruch kann sich jedoch aus dem Kartellrecht ergeben. In Deutschland richtet sich der kartellrechtliche Belieferungsanspruch nach den Regelungen des GWB über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung oder von relativer Marktmacht. Handelt es sich um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt, kommt europäisches Kartellrecht zur Anwendung.

Ist der Lieferant ein führender Hersteller oder Lieferant von Vertragswaren, insbesondere Markenprodukten, kann er verpflichtet sein, andere Unternehmen zu beliefern. Das Kartellrecht, in Deutschland das GWB, schränkt insoweit das Recht zu kündigen ein. Denn wo ein kartellrechtlicher Belieferungsanspruch kraft Gesetzes besteht, darf dieses Recht auf Belieferung nicht durch eine Kündigung umgangen werden.

Dies gilt insbesondere, wenn der Lieferant über besondere Marktmacht verfügt oder sogar marktbeherrschend ist. Hierfür ist ein Marktanteil von 40% auf dem sachlichen Produktmarkt von mindestens 40% erforderlich. Liegt keine solche Marktmacht vor, muss der Händler oder Abnehmer jedoch nachweisen, dass ihr Sortiment ohne diese Produkte unvollständig ist, weil die Verbraucher von einem Fachgeschäft erwarten, dass diese Markenprodukte geführt werden. Man spricht dann von einer sortimentsbedingten Abhängigkeit. Voraussetzung ist, dass die Nichtbelieferung der Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung in Form der unbilligen Behinderung gleichkommt.

Die marktbeherrschende Stellung besteht hier nicht aufgrund eines Marktanteils des Lieferanten bzw. Herstellers von mehr als 40 %, sondern aufgrund seiner Stellung im Verhältnis zu den Händlern. Nach der gegenwärtigen Rechtslage können sich nur kleine und mittlere Unternehmen auf diese sogenannte relative marktbeherrschende Stellung und sortimentsbedingte Abhängigkeit berufen. Ob für Ihr Unternehmen einen Belieferungsanspruch generell infrage kommen kann, erläutere ich Ihnen gerne per Mail oder telefonisch. Eine Ausnahme hiervon besteht dann, wenn der Lieferant ein selektives Vertriebssystem betreibt, weil er dann selbst Kriterien für Händler festlegen kann, die er für die Belieferung und den Vertrieb auswählt. In diesem Fall ist der Ausschluss von bestimmten Händlern nicht unbillig.

Liefervertrag Kündigung – Das ist jetzt wichtig

Das Urteil des OLG Hamm bestätigt im Wesentlichen die bisherige Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines Ausgleichanspruchs eines Vertragshändlers. Erforderlich ist, dass der Vertragshändler in die Absatzorganisation des Herstellers bzw. Lieferanten eingegliedert ist und daher zum Vertrieb und zur Beachtung von Weisungen zum Vertrieb verpflichtet ist. Zudem muss der Vertragshändler verpflichtet sein, den Kundenstamm auf den Hersteller bzw. Lieferanten zu übertragen.

Bei reinen Käufer-Verkäufer-Beziehungen, also Eigenhändlern, hat das OLG Hamm allerdings gekündigten Unternehmen eine rechtliche Stütze geschaffen. Je nach Abhängigkeit der Dauer dieser Käufer-Verkäufer-Beziehung sind Lieferanten und Hersteller nun gut beraten, bei ihren Eigenhändlern nicht unmittelbar zu kündigen bzw. abrupt die Belieferung einzustellen, sondern eine gewisse Frist für die Liefervertrag-Kündigung zu wahren. Hier wird man sich an den für Handelsvertreter geltenden Kündigungsfristen orientieren können. Melden Sie sich gerne, wenn Sie hierzu Fragen haben.

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