Warum musste der BGH überhaupt entscheiden? Denn es war seit Langem klar, dass ein in Deutschland tätiger Vertragshändler einen Ausgleichsanspruch hat, wenn er wie ein Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Herstellers oder Lieferanten eingegliedert ist und mit Vertragsbeendigung verpflichtet ist, seinen Kundenstamm zu übertragen, sprich die Kundendaten so auszuhändigen, dass der Hersteller oder Lieferant in die Lage versetzt ist, diese unmittelbar zu nutzen. Der BGH hat diese Selbstverständlichkeit nochmals klargestellt: Nach § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB darf der Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers nicht im Voraus nicht ausgeschlossen werden, wenn die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung von § 89b HGB auf das Vertragsverhältnis eines Vertragshändlers vorliegen. Dies ist ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 1985 – I ZR 175/82, NJW 1985, 3076, 3077, juris Rn. 21; Urteil vom 12. Dezember 1985 – I ZR 62/83, NJW-RR 1986, 661; BGH, Urt. v. 6. Oktober 1999 VIII – Az: ZR 125/98, BGHZ 142, 358, 368.
Ebenso klar ist, dass für einen Handelsvertreter der Ausgleichsanspruch ausgeschlossen werden darf, wenn er außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums tätig ist und deutsches Recht Anwendung findet, so dies ebenso entsprechend für Vertragshändler gilt.
Bei der Entscheidung des BGH ging es jedoch um einen Vertragshändler, der innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums tätig ist und für den Ausgleichsanspruch vertraglich ausgeschlossen war. Bei einem im Europäischen Wirtschaftsraum tätigen Handelsvertreter wäre ein Ausschluss des Ausgleichsanspruchs unzulässig. Dies ist in § 92c HGB ausdrücklich so geregelt. In der Sache ging es folglich um die Frage, ob dieser § 92c HGB, der den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs nur für Handelsvertreter, die außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums tätig sind, zulässt, auch vollständig analog auf Vertragshändlerverträge anzuwenden ist. Anders gewendet: Ist § 92c HGB auch auf Vertragshändler im Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar, so dass für sie der Ausgleichsanspruch nicht ausgeschlossen werden kann?
Eine oft vertretene Meinung in der Literatur folgt der Auffassung, dass dieses Verbot in § 92c HGB nicht analog auf Vertragshändler anzuwenden ist. Dies würde bedeuten, so dass der Ausgleichsanspruch für Vertragshändler, die innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums tätig werden, ausgeschlossen werden kann.
Dieser Ansicht hat der BGH nun einen Riegel vorgeschoben: Unter den drei oben genannten Voraussetzungen darf der Ausgleichsanspruch des Vertragshändler, der im Europäischen Wirtschaftsraum tätig ist, nicht im Vorhinein ausgeschlossen werden.
Was sind die Argumente der Literaturmeinung? Die Abweichung von der zu Handelsvertretern geregelten territorialen Differenzierung in § 92c Abs. 1 HGB wird vor allem damit begründet, dass das Vertragshändlerrecht im Gegensatz zu dem nach Maßgabe der Richtlinie 86/653/EWG vereinheitlichten Handelsvertreterrecht auf europäischer Ebene nicht harmonisiert ist. § 92c HGB sei aber gerade Ausdruck und Folge dieser Harmonisierung, so dass er auf Vertragshändlerverhältnisse nicht passt.
Andere Stimmen in der Literatur und auch das OLG Düsseldorf (Urt. v. 28. Februar 2007 – Az: VI-U (Kart) 22/06) wenden das Verbot des § 92c HGB auch auf Vertragshändler an, weil die deutschen Vorschriften des HGB aus Gründen der ausgleichsrechtlichen Gleichbehandlung von Handelsvertretern und Vertragshändlern entsprechend anzuwenden sind.
Dieser letzten Auffassung schließt sich der BGH nun ausdrücklich an: Es fehlt bereits am Willen des Gesetzgebers, dass er anlässlich der Neufassung von § 92c Abs. 1 HGB im Jahr 1989 sowie 1993 den bis dahin bestehenden Gleichlauf bei der rechtlichen Beurteilung der Ausgleichsansprüche von Handelsvertretern und Vertragshändlern durchbrechen wollte. Zwar beschränkt sich der Anwendungsbereich der Richtlinie 86/653/EWG auf Handelsvertreterverhältnisse und ist diese Richtlinie nicht auf Vertragshändlerverhältnisse nicht anwendbar. Hieraus ist aber nicht zu folgern, dass sich der deutsche Gesetzgeber bei der Änderung von § 92c Abs. 1 HGB im Jahr 1989 sowie 1993 auf eine Regelung speziell der Handelsvertreterverhältnisse beschränken wollte. Bei diesen Änderungen bestand die durch das Urteil vom 11. Dezember 1958 – II ZR 73/57 (BGHZ 29, 83) begründete Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur entsprechenden Anwendbarkeit des Handelsvertreterrechts auf Vertragshändlerverhältnisse bereits seit mehr als dreißig Jahren. Es hätte daher nahegelegen und wäre zu erwarten gewesen, dass die Vertragshändler ausdrücklich von der in § 92c Abs. 1 HGB in Bezug auf Handelsvertreter statuierten territorialen Differenzierung ausgenommen werden, wenn der deutsche Gesetzgeber gewollt hätte, den bis dahin bestehenden Gleichlauf bei der rechtlichen Beurteilung der Ausgleichsansprüche von Handelsvertretern und Vertragshändlern zu durchbrechen.
Gegen einen solchen beschränkenden Willen des Gesetzgebers spricht auch, dass er die Neufassung von §92c HGB im Jahr 1989 für Waren- und sonstiger Handelsvertreter normiert hat. Er ist damit über die die Anforderungen der Richtlinie 86/653/EWG hinaus gegangen, die an sich nur auf Warenvertreterverhältnisse anwendbar ist. Der deutsche Gesetzgeber wollte daher nicht lediglich die Richtlinie 86/653/EWG wortgetreu umsetzen, sondern mit § 92c HGB einen umfassenden Schutz gewährleisten. Ein weiter Anwendungsbereich von § 92 HGB entspricht daher vielmehr dem gesetzgeberische Willen als ein enger.
Schließlich ist nach dem BGH, wenn deutsches Recht auf ein Vertragshändlervertrag Anwendung findet, auch – unbeschadet der fehlenden Harmonisierung des Vertragshändlerrechts auf europäischer Ebene – kein erheblicher Grund erkennbar, den Vertragshändler, der seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben hat, wegen der Unabdingbarkeit des zukünftigen Ausgleichsanspruchs anders zu behandeln als den Vertragshändler, der seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag in Deutschland auszuüben hat.
Die Unabdingbarkeit des zukünftigen Ausgleichsanspruchs entsprechend § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB soll den Vertragshändler vor der Gefahr schützen, sich aufgrund seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit von dem Hersteller oder Lieferanten auf ihn benachteiligende Abreden einzulassen. Diese Gefahr besteht für den Vertragshändler, der seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben hat, genauso wie für einen Vertragshändler, der seine Tätigkeit für den Hersteller oder Lieferanten nach dem Vertrag in Deutschland auszuüben hat (BGH, Urt. v. 6.2.1985 – I ZR 175/82; BGH, Beschl. v. 17.11.1999 – VIII ZR 315/98).
Der BGH folgt auch nicht dem Argument, dass es gerade wegen der fehlenden Harmonisierung zu einer Besserstellung der Vertragshändler komme, weil in dem EWiR-Staat, in dem sie tätig sind, kein dem deutschen Ausgleichsanspruch entsprechender Anspruch existiert. Erstens ist dies gerade ein Reflex der fehlenden Harmonisierung des Vertragshändlerrechts in der EU. Zweitens steht es den Parteien frei, für ihr Vertragsverhältnis ein anderes anwendbares Recht als das deutsche Recht zu wählen.
######Praxistipp:
Die Klarstellung des BGH ist für Hersteller und Lieferanten misslich, wenn sie deutsches Recht anwenden wollen und die Voraussetzungen des § 89b HGB erfüllt sind. Es gibt jedoch Alternativen: Der Hersteller oder Lieferant kann sich für eine andere Rechtsordnung entscheiden, die kein Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers vorsieht. Zudem kann der Hersteller oder Lieferant dafür sorgen, dass die Voraussetzungen von § 89b HGB nicht erfüllt sind, etwa weil der Vertragshändler nicht wie ein Handelsvertreter in die Vertriebsorganisation des Hersteller oder Lieferanten eingebunden ist, insbesondere nur gering ausgeprägte Marketing- oder Berichtspflichten erfüllen muss, oder indem vertraglich klar geregelt ist, dass keine Pflicht des Vertragshändlers besteht, spätestens bei Vertragsende den Kundenstamm zu übertragen. Wenn der Vertrag ohne eine solche Pflicht „gelebt“ wird, wird regelmäßig auch kein Ausgleichsanspruch bestehen.