Autor:
Dr. Christian Andrelang, LL.M.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Die Pandemie Covid19 führt zu erheblichen Beeinträchtigungen in der Lieferkette. Grenzschließungen und die zeitweisen Betriebsschließungen, insbesondere in China und mittlerweile in ganz Europa, haben bei vielen Unternehmen bereits zu Engpässen bei der Versorgung mit Waren und Einzelteilen geführt.
Liegt hierin ein Ereignis „höherer Gewalt“, das berechtigt, die Lieferung zu verweigern oder gar ganz von der Lieferpflicht befreit? Was muss ein Unternehmen tun, um lieferfähig zu bleiben? Wie schützt sich ein Unternehmen gegen den Missbrauch der „höheren Gewalt“? Unter welchen Voraussetzungen ist Schadensersatz zu leisten? Im Grundsatz sind Lieferpflichten aus Rahmenverträgen oder Bestellungen stets einzuhalten. Bei Nichtlieferung bestehen somit Schadensersatzansprüche, wenn den Lieferanten ein Verschulden trifft.
Was ist Höhere Gewalt?
Nach der Rechtsprechung ist höhere Gewalt jedes betriebsfremde, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführte Ereignis, das nach menschlicher Erkenntnis und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen ist“. Deswegen erfordert Höhere Gewalt die Unvorhersehbarkeit eines Ereignisses, das außerhalb der Kontrolle der Vertragsparteien liegt und das es wenigstens einer Vertragspartei, wenn auch nur vorübergehend, unmöglich macht, ihre Leistung zu erbringen. Die Pandemie Covid19 dürfte zwar sicher außerhalb der Kontrolle von Unternehmen liegen. Jedes Unternehmen muss sich jedoch damit befassen, ab wann die Pandemie nicht mehr unvorhersehbar war. Dies ist bei Verträgen die Ende Februar/Anfang März 2020, spätestens am 13. März 2020, geschlossen wurden, nicht mehr der Fall sein.
Höhere Gewalt in der Lieferkette
Ob die Corona-Krise ein so genanntes Ereignis „höherer Gewalt“ ist und das Verschulden entfallen lässt, hängt auch von den vertraglichen Regelungen ab. Zunächst sollte jedes Unternehmen seine Verträge bzw. die Lieferbedingungen innerhalb der Lieferkette prüfen. Oftmals sind in Rahmenverträgen oder in allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen zu „höherer Gewalt“ – im internationalen Verkehr auch „force majeure“ genannt – enthalten.
Wenn der Vertrag bzw. die Lieferbedingungen eine solche Klausel enthalten, legen sie zunächst fest, welche Ereignisse „höhere Gewalt“ sein können. Manchmal werden Epidemien oder behördliche Maßnahmen ausdrücklich genannt. Fehlen solche Benennungen, muss die Klausel ausgelegt werden. Solche Klauseln bestimmen in der Regel auch, welche rechtlichen Konsequenzen sich im Fall einer Epidemie für die Pflichten innerhalb der Lieferkette ergeben. Danach ist für einen bestimmte Zeit keine Partei verpflichtet, ihre vertraglichen Leistungen zu erbringen. Nach Ablauf dieses Zeitraums und einer Fortdauer der „höheren Gewalt“ entfallen die Vertragspflichten ganz.
Verschulden des Unternehmens
Eine solche Klausel ist jedoch kein „Freifahrtschein“. Das Ereignis höherer Gewalt muss ursächlich dafür sein, dass eine Partei innerhalb der Lieferkette nicht leisten kann. Ist die Covid19-Krise bzw. behördliche Anordnungen nicht dafür verantwortlich, dass ein Unternehmen nicht liefern kann, wird es von seiner Lieferpflicht nicht befreit. Hat ein Unternehmen sich nicht rechtzeitig mit Einzelteilen eingedeckt bzw. sich durch Ersatzlieferanten abgesichert und sind an sich genug Teile verfügbar, also nicht von behördlichen Anordnungen betroffen, ist das Unternehmen selbst schuld. Die Corona-Krise lässt das Verschulden und damit auch die Lieferpflicht in der Lieferkette nicht entfallen.
Die Corona-Krise, die Covid19-Pandemie an sich oder eine behördliche Betriebsschließung führen daher nicht automatisch zur Unmöglichkeit einer Leistung. Unmöglich ist eine Leistung erst, wenn keine alternativen Lieferquellen oder Ersatzware, gegebenenfalls auch mit Mehraufwendungen, verfügbar sind. Eine Erschwerung der Leistung reicht für Unmlgichkeit oder Höhere Gewalt nicht aus, insbesondere dann nicht, wenn bei der Vertragspartei, die nicht leisten kann, Fahrlässigkeit, also Verschulden vorliegt.
Lieferkette: Unmöglichkeit nach dem Gesetz
Stellt ein Unternehmen fest, dass der Vertrag oder die sonstigen Lieferbedingungen keine „Höhere Gewalt“-Klausel enthalten, bestimmt sich die rechtliche Situation nach den gesetzlichen Regelungen. Diese hängt vom geltenden Recht ab. Im Vertrag ist also zuerst zu prüfen, welches Recht anwendbar ist. Ist dies das deutsche Recht, ist zu klären, ob die Corona-Pandemie das Verschulden für die Nichtlieferung entfallen lässt. Insoweit gilt das oben Gesagte.
Entscheidend zu berücksichtigen ist jedoch auch, wie wichtig die Leistung bzw. Lieferung für das kaufende Unternehmen ist. Hieraus können sich gesteigerte Leistungs- und Lieferpflichten der Lieferanten ergeben, was gleichzeitig die Hürden für Unmöglichkeit oder „Höhere Gewalt“ anhebt.
Teilweise wird auch der Wegfall der Geschäftsgrundlage bemüht: Hatten die Parteien das übereinstimmende Verständnis, dass der Vertrag nicht durch die Corona-Pandemie beeinflusst sein darf, ist der Vertrag an die gegenwärtigen Umstände anzupassen und Leistungsfristen und -termine zu verschieben. Dies wird jedoch nur für vor kurzem geschlossene Verträge in Betracht kommen. In jedem Fall ist eine Prüfung des Vertrags und seiner Bestimmungen im Einzelfall wichtig.
Lieferkette: Schutz durch Selbstbelieferungsvorbehalt
Wenn ein Unternehmen nicht beliefert wird, kann es seinerseits oftmals seine Verpflichtungen nicht erfüllen, etwa gegenüber Einzelhändlern. Klauseln über höhere Gewalt können auch in Verträgen zwischen Herstellern und Einzelhändlern, etwa in Vertriebsverträgen, enthalten sein. Dann gilt das oben Gesagte entsprechend. Häufig enthalten die Verkaufs- und Lieferbedingungen der Hersteller auch einen so genannten „Selbstbelieferungsvorbehalt“. Damit ist gemeint, dass die Lieferpflicht des Herstellers unter dem Vorbehalt steht, dass er selbst mit dem Produkt oder den notwendigen Einzelteilen beliefert wird. Ist ein solcher „Selbstbelieferungsvorbehalt“ wirksam vereinbart, muss der Hersteller nicht liefern und verletzt bei Nichtlieferung auch keine Pflichten. Auch hier müssen die vertraglichen Regelungen im Einzelfall geprüft werden.
Schutz vor Missbrauch in der Lieferkette
Unternehmen können sich gegen eine missbräuchliches Berufen auf die Klausel „Höhere Gewalt“ schützen. Zunächst sollte der Lieferant auf die Dringlichkeit der Lieferung hinweisen und sich auch erläutern lassen, aus welchem Grund keine Lieferung erfolgt. Der bloße Einwand „Corona-Krise“ ist keine Entschuldigung. Der Lieferant muss genau darlegen, aus welchen Gründen er nicht liefern kann, welcher Zusammenhang mit behördlichen Anordnungen besteht und welche Anstrengungen er unternommen hat, sich selbst lieferfähig zu halten. Hierbei kann dem Lieferanten auch zugemutet werden, sich zu teureren Preise aus anderen Quellen einzudecken. Bestehen Anzeichen dafür, dass die Lieferfähigkeit vermeidbar war, sollte sich das Unternehmen Schadensersatzansprüche vorbehalten. Immerhin muss es ja eigene Lieferpflichten ebenfalls erfüllen.
Sonderfall Mietvertrag
Die behördliche Anordnung in den deutschen Bundesländern, dass nur noch Geschäfte, die Artikel der Grundversorgung öffnen dürfen, entbindet den übrigen Handel nicht von der Pflicht, die Miete für Gewerberäume oder Leasingraten für Fahrzeuge oder Maschinen zu zahlen. Bei gewerblichen Mietverträgen ist die Situation etwas anders. Dort ist in der Regel der Mietzweck, also die Nutzung der Räume, konkret definiert. Untersagt eine behördliche Anordnung nun diese Nutzung, kann für den Mieter ein Fall der vorübergehenden Unmöglichkeit vorliegen. Dies würde den Mieter von der Pflicht zur Zahlung der Miete befreien.
Aus diesen Gründen, ist die Corona-Krise auch kein wichtiger Grund, der zur außerordentlichen Kündigung mit sofortiger Wirkung berechtigen würde. Eine ordentliche Kündigung eines Vertrags innerhalb der vereinbarten Kündigungsfrist bleibt jedoch möglich und kann zur Schadensminderung wichtig sein.