Ein Mittelstandskartell kann für kleine und mittlere Unternehmen erhebliche wettbewerbliche Vorteile bringen, um im Wettbewerb mit den großen Unternehmen einer Branche bestehen zu können. Dies gilt insbesondere für Spezialisierungskartelle und Rationalisierungskartelle, die das GWB unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. Unter dem Dach eines Mittelstandskartells können beispielsweise an sich verbotene Preisabsprachen und Quotenbildungen zulässig sein. Allerdings prüfen die Kartellbehörden genau, ob die Voraussetzungen für ein Mittelstandskartell erfüllt sind. Zu beachten ist vor allem, dass sich die Zulässigkeit auf deutsches Kartellrecht und seinen Anwendungsbereich beschränkt. Nach den Regelungen des europäischen Kartellrechts ist dies nicht der Fall. Sobald also beispielsweise eine grenzüberschreitendes Spezialisierungskartell vereinbart werden soll und hierdurch der zwischenstaatliche Handel betroffen ist, gilt der Ausnahmetatbestand des § 3 GWB nicht mehr. Die Zulässigkeit eines Mittelstandskartells ist auch besonders genau zu prüfen, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen oder ein Unternehmen mit überlegener Marktmacht beteiligt ist. Diese Problematik stellt sich insbesondere, wenn ein zunächst mittleres Unternehmen stark wächst und zu einem marktbeherrschenden Unternehmen wird. An einem fairen Wettbewerb würden dann Zweifel bestehen.
Kartell, Rationalisierungskartell, Mittelstandskartell – Was ist das?
Ein Kartell ist eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, die darauf abzielt, den Wettbewerb einzuschränken oder zu verhindern. Solche Wettbewerbsbeschränkungen können durch verschiedene Arten von Absprachen entstehen, etwa bezüglich Preisen, Produktionsmengen oder Marktaufteilungen. Gemäß dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sind Kartelle in der Regel verboten, da sie den freien Marktmechanismus stören und zu einer unfairen Wettbewerbssituation führen können. Dies gilt dann, wenn die beteiligten Unternehmen Wettbewerber sind. Es gibt jedoch bestimmte Ausnahmen, unter denen Kartelle – also horizontale Kooperationen zwischen Wettbewerbern – zulässig sein können. Eine solche Ausnahme stellt das Rationalisierungskartell dar. Das Rationalisierungskartell ist nicht explizit im GWB erwähnt, ermöglicht es als Mittelstandskartell jedoch Unternehmen, durch Kooperationen Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen zu erzielen, ohne dabei den Wettbewerb wesentlich zu beeinträchtigen.
Die Bildung eines Kartells unterliegt strengen Vorschriften. Problematisch ist, dass es kein formalen Verfahrens zur Genehmigung durch das Bundeskartellamt oder die entsprechende Kartellbehörde gibt. Die Partner müssen durch eine kartellrechtliche Selbsteinschätzung selbst beurteilen und sicherstellen, dass die Kooperation nicht zu einer unzulässigen Beschränkung des Wettbewerbs führt. Im Rahmen dieser Selbsteinschätzung werden die spezifischen Umstände und Ziele des Kartells geprüft, um festzustellen, ob es den gesetzlichen Anforderungen entspricht und ob es sich positiv auf den Markt und die Verbraucher auswirken kann.
Ein Rationalisierungskartell ist eine spezielle Form eines Kartells, das darauf abzielt, die Effizienz und Wirtschaftlichkeit der beteiligten Unternehmen zu steigern. Es geht hierbei um die Zusammenarbeit zur Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge, wie beispielsweise durch gemeinsame Forschung und Entwicklung, Standardisierung von Produkten oder Verbesserung von Produktionsprozessen.
Ein Mittelstandskartell hat für den deutschen Markt in § 3 GWB eine besondere Regelung gefunden und bezieht sich speziell auf kleinere und mittlere Unternehmen. Ein Mittelstandskartell zielt darauf ab, deren Wettbewerbsfähigkeit gegenüber größeren Konkurrenten zu stärken. Wenn ein Mittelstandskartell Maßnahmen zur Rationalisierung umfasst, kann es als ausnahmsweise zulässiges Kartell eingestuft werden, sofern es den gesetzlichen Vorschriften entspricht und nicht zu einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung führt.
Insgesamt ist es wichtig, dass jedes Kartell, ob Mittelstands- oder Rationalisierungskartell, die rechtlichen Rahmenbedingungen einhält, insbesondere die Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Deutschland sowie die seit Juli 2023 veröffentlichten Leitlinien der Europäischen Kommission für die horizontale Zusammenarbeit zwischen Unternehmen.
Mittelstandskartell – Welche Anforderungen bestehen?
Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, die die Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge durch zwischenbetriebliche Zusammenarbeit zum Gegenstand haben, fallen nicht unter das Kartellverbot nach § 1 GWB, wenn dadurch der Wettbewerb auf dem Markt nicht wesentlich beeinträchtigt wird und die Vereinbarung dazu dient, die Wettbewerbsfähigkeit kleiner oder mittlerer Unternehmen zu verbessern, § 3 GWB. Nicht zu verwechseln ist ein Mittelstandskartell mit einer Liefergemeinschaft. Eine Liefergemeinschaft fällt bereits dann nicht unter das Kartellverbot, wenn ein konkreter Auftrag nicht von einem einzelnen Unternehmen erfüllt werden könnte, etwa große Lieferverträge oder große Ausschreibungsverfahren.
Zunächst muss es sich bei allen am Mittelstandskartell beteiligten Unternehmen um kleine oder mittlere Unternehmen mit einem gemeinsamen Marktanteil von jeweils unter 10-15 % in allen Leistungsbereichen des Mittelstandskartells handeln. Diese Leistungsbereiche können etwa der Vertrieb, der Einkauf, die Logistik, das Marketing und das Inkasso sein. Es müssen für ein Mittelstandskartell zudem folgende Voraussetzungen zusammen erfüllt sein:
- Gegenstand des Mittelstandskartells muss die Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge durch zwischenbetriebliche Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmen sein,
- durch das Mittelstandskartell wird der Wettbewerb auf dem Markt nicht wesentlich beeinträchtigt,
- die Vereinbarung dient dazu, die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten kleinen oder mittleren Unternehmen zu verbessern, und
- der räumliche Markt, in dem das Mittelstandskartell agiert, ist auf das Gebiet von Deutschland beschränkt.
Ob das Mittelstandskartell lose für ein einmaliges Projekt oder langfristig durch einen Kooperationsvertrag oder sogar durch die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, etwa einer GmbH & Co. KG (lesen Sie hier zum Wettbewerbsverbot des Kommanditisten in der GmbH & Co. KG) eingegangen wird, ist für die kartellrechtliche Zulässigkeit nach dem GWB irrelevant. Ihnen stehen insoweit alle Optionen offen. Bei einer längerfristigen Ausrichtung muss jedoch regelmäßig geprüft werden, ob die Voraussetzungen des Mittelstandskartells noch erfüllt sind.
Mittelstandskartell – Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge
Mit Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge ist die Verbesserung des wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Verhältnisses bei allen am Mittelstandskartell Beteiligten gerade durch ihre Zusammenarbeit im Rahmen des Mittelstandskartells gemeint. Diese Rationalisierung wird dann erreicht, wenn bei jedem beteiligten kleinen und mittleren Unternehmen das Verhältnis seines betrieblichen Aufwandes zu seinem Ertrag verbessert wird. Hierzu können kooperative Maßnahmen in den Bereichen Vertrieb, Inkasso, Finanzierung, Verwaltung, Werbung, Logistik oder Einkauf gehören. Entscheidend ist dabei, dass sich das jeweilige wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Verhältnis bei allen am Mittelstand beteiligten Unternehmen verbessert. Dies muss für alle Unternehmen gesondert nachgewiesen werden. Wenn also bereits bei einem Unternehmen des Mittelstandskartells eine solche Verbesserung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses verneint wird, ist das Mittelstandskartell nicht vom Kartellverbot befreit.
Diese Rationalisierungseffekte und Effizienzgewinne müssen sich zudem aus den wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen ergeben, dürfen jedoch nicht alleine durch Preisabsprachen oder Quotenregelungen erzielt werden. Die Zulässigkeit dieser Abreden ist daher besonders genau zu prüfen. Erforderlich ist die nachgewiesene Kausalität zwischen der Verbesserung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses bei allen beteiligten Unternehmen und in dem vom Mittelstandskartell übernommenen Leistungsbereichen wie gemeinsamer Handel, Inkasso, Vertrieb, Disposition oder Vermarktung.
Die Freistellung eines Mittelstandskartells vom Kartellverbot setzt zudem voraus, dass der Wettbewerb nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Dies kann nur eine Gesamtwürdigung der Auswirkungen des Mittelstandskartells auf die Wettbewerbsbedingungen des betroffenen Marktes ergeben. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Marktanteile der am Mittelstandskartell beteiligten Unternehmen, das Maß der Wettbewerbsbeschränkung durch die Abreden im Rahmen des Mittelstandskartells sowie bereits bestehende, weitere Kooperationen im gleichen Markt. Maßgeblich ist aber stets der gemeinsame Marktanteil in den jeweiligen Leistungsbereichen des Mittelstandskartells, der 10-15% nicht übersteigen darf. Dies gilt insbesondere dann, wenn Preis- und Quotenabreden getroffen werden sollen. Dass diese Schwellen nicht überschritten werden, ist vor Beginn des Mittelstandskartells und auch während seines Bestehens regelmäßig zu prüfen und zu belegen.
Schließlich muss das Mittelstandskartell die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen steigern, etwa durch eine Ausweitung des Dienstleistungssortiments, die Verringerung des Logistikaufwands oder eine Verbesserung des Marketings. Wenn beteiligte mittelständische Unternehmen keine solche Steigerung nachweisen können, kann eine kartellrechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung und ein unzulässiges Kartell vorliegen.
Was ist jetzt für Sie wichtig?
Ein Mittelstandskartell ist eine attraktive Form der Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern, ist jedoch an strenge Voraussetzungen geknüpft. Erforderlich ist, dass sich durch das Mittelstandskartell bei allen Unternehmen in allen Leistungsbereichen, die das Mittelstandskartell für die beteiligten Unternehmen übernimmt, individuell und nachweisbar das betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Verhältnis verbessert. Rechtspolitisch bedauerlich ist, dass es keine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ durch das Bundeskartellamt mehr gibt. Die Rechtslage verlangt daher von den Unternehmen, die Zulässigkeit eines Mittelstandskartells selbst und eigenständig zu prüfen und das Risiko der Unzulässigkeit auf sich zu nehmen. Ist auch der Wettbewerb in anderen europäischen Mitgliedsstaaten betroffen, etwa weil das Mittelstandskartell in grenznahen Gebieten operiert, gilt europäisches Kartellrecht, das eine Freistellung von Mittelstandskartellen nicht kennt. In solchen Fällen sind die Anforderungen noch höher, insbesondere muss nachgewiesen sein, dass die Endabnehmer von den Rationalisierungseffekten profitieren, also durch geringere Preise.