Gibt es einen Vertragshändler Ausgleichsanspruch, ohne dass der Vertragshändler vertraglich verpflichtet gewesen sein muss, seinen Kundenstamm zu übertragen? Das Landgericht Nürnberg überrascht mit einem veröffentlichten Hinweisbeschluss vom 27. November 2018 und deutet an, dass es allein darauf ankommt, ob der Unternehmer aus der Geschäftsbeziehung mit dem Vertragshändler Vorteile gezogen hat.
Nach der Rechtsprechung des BGH hat ein Vertragshändler wie ein Handelsvertreter einen Ausgleichsanspruch. Der Vertragshändler muss verpflichtet sein, bei Vertragende seinen Kundenstamm an den Unternehmer zu übertragen. Zudem ist Voraussetzung, dass der Vertragshändler in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliedert ist. Erforderlich ist, dass er Weisungen zum Marketing befolgen, regelmäßig berichtet und einem Wettbewerbsverbot unterliegt.
Autor:
Dr. Christian Andrelang, LL.M.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Vertragshändler Ausgleichsanspruch – Worum geht es?
Dem Handelsvertreter steht gemäß § 89b HGB nach Vertragsbeendigung ein Ausgleichsanspruch gegen den Unternehmer zu, soweit der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat und die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht.
Dies gilt nach der Rechtsprechung entsprechend für den Vertragshändler Ausgleichsanspruch. Hierfür müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens ist erforderlich, dass der Vertragshändler einem Handelsvertreter vergleichbar in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliedert ist, ihr Vertragsverhältnis über eine bloße Käufer-Verkäufer-Beziehung hinausgeht. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Vertragshändler Berichts- und Marketingpflichten hatte, einem Wettbewerbsverbot unterlag oder ihm ein konkreten Marktverantwortungsgebiet zugewiesen wurde. Zweitens musste der Vertragshändler vertraglich verpflichtet gewesen sein, dem Unternehmer seinen Kundenstamm so zugänglich zu machen, dass der Unternehmer hieraus ohne Weiteres nach Beendigung der vertraglichen Zusammenarbeit Nutzen ziehen kann.
Vertragshändler Ausgleichsanspruch – Was ist neu?
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat diese zweite Voraussetzung relativiert. Es verlangt zwar für den Vertragshändler Ausgleichsanspruch weiterhin, dass der Unternehmer aus der Geschäftsbeziehung mit dem Vertragshändler Vorteile zieht. Erforderlich ist allerdings nicht mehr, dass der Vertragshändler irgendwie seinen Kundenstamm übertragen oder Kundendaten mitteilen musste. Die Anforderungen an den Vertragshändler Ausgleichsanspruch sind daher reduziert, was für den Vertragshändler günstig ist.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth stellt zu Recht fest, dass die Rechtsprechung diese Pflicht zur Übertragung des Kundenstamms als Voraussetzung für den Vertragshändler Ausgleichsanspruch zwar einmal forderte. Die Rechtsprechung zu dieser Voraussetzung hat sich bis heute jedoch stark relativiert. So sollte es für eine solche Pflicht zur Übertragung des Kundenstamms bereits ausreichen, wenn der Unternehmer die Aushändigung von Garantiekarten oder die Standorte von Leihequipment bei Kunden, etwa für die Produktpräsentation, forderte.
Ausreichend war zudem seit jeher, dass diese Pflicht sich nur irgendwie aus den vertraglichen Regelungen ergab; sie musste nicht ausdrücklich festgeschrieben sein. Auch eine längere Duldung bzw. Annahme von Kundendaten konnte eine „vertragliche Pflicht“ in diesem Sinne sein. Ebenso war für den Vertragshändler Ausgleichsanspruch irrelevant, ob der Vertragshändlervertrag wirksam war oder anfechtbar oder gar nichtig. Neu ist somit, dass es nach der Auffassung des Landgerichts Nürnberg-Fürth nur noch darauf ankommt, dass der Unternehmer aus den Geschäftsbeziehungen mit den Kunden, die der Vertragshändler geworben hat, einen Goodwill, also eine begründete Gewinnerwartung hat. Wie der Unternehmer nach Vertragsbeendigung Zugriff auf den goodwill erhält – also sich selbst die Kundendaten beschafft oder er sie vom Vertragshändler oder einem Dritten erhält -, spielt für den Vertragshändler Ausgleichsanspruch keine Rolle.
Nur noch Unternehmervorteil erforderlich – Was bedeutet das?
Der Händler muss für seinen Vertragshändler Ausgleichsanspruch daher nur noch nachweisen, dass er in die Absatzorganisation des Unternehmers wie ein Handelsvertreter integriert war und dass der Unternehmer aus dem Kundenstamm des Vertragshändlers noch Vorteile hat. Durch den Wegfall dieser Voraussetzung werden jetzt Konstellationen eines Vertragshändler Ausgleichsanspruchs besser greifbar, in denen der Unternehmer die Vorteile aus dem Kundenstamm “einfach so” erhalten hat, etwa weil er den Betrieb des Vertragshändler übernahm und als Eigenbetrieb weiterführt. An der Berechnung des Vertragshändler Ausgleichsanspruchs hat das Landgericht Nürnberg-Fürth in seinem Hinweisbeschluss allerdings nichts geändert. Die Herausforderungen bei der Berechnung, insbesondere im Kfz-Bereich, bleiben daher.
Vertragshändler Ausgleichsanspruch – Was ist jetzt für Sie wichtig?
Dass das Landgericht Nürnberg-Fürth ganz auf die Voraussetzung des Vertragshändler Ausgleichsanspruch „vertragliche Pflicht zur Übertragung des Kundenstamms“, wie es die bisherige Rechtsprechung – wenn auch abgeschwächt – stets forderte, verzichtet, wird möglicherweise noch die nächste Instanz, das Oberlandesgericht Nürnberg beschäftigen. Ob das Oberlandesgericht Nürnberg diese Auffassung zum Vertragshändler Ausgleichsanspruch und seinen Voraussetzungen bestätigt, bleibt abzuwarten. In jedem Fall dürften die Voraussetzungen für einen Vertragshändler Ausgleichsanspruch weiterhin die Gerichte beschäftigen.