Über 775.000 deutsche Unternehmer importierten im Jahr 2018 mit einem Umsatz in Höhe von ca. 1,09 Billionen Euro weltweit Waren im internationalen Handel. Diese Waren sind in sogenannte globale Lieferketten einbezogen. Die Unternehmen in Deutschland sind von Vorleistungen aus anderen Ländern abhängig, insbesondere in den Branchen Textilindustrie (63 Prozent), Elektronik (45 Prozent), chemische und pharmazeutische Industrie (39 Prozent), Lebensmittelindustrie (37 Prozent), Automobilindustrie (29 Prozent) und Maschinenbau (28 Prozent). Betroffen sind sowohl Hersteller als auch jeder Markenvertrieb, die bestimmte Güter sowie Produktionswerkzeuge aus dem Ausland in die EU importieren.
Nachdem die Bundesregierung den ersten Entwurf zum sogenannten Lieferkettengesetzes fertiggestellt hat und dem Bundestag zur Diskussion sowie zur Abstimmung vorgelegt hat, sind dessen Folgen gravierender denn je für Hersteller und Handel.
Neue Compliance in der Lieferkette
Die Bundesregierung beschließt, dass deutsche Unternehmen aufgrund der zahlreichen internationalen Verflechtungen in der EU sowie weltweit im Ausland mehr Verantwortung übernehmen sollen, hinsichtlich moralischer Missstände in den Produktionsverfahren. Das europäische Lieferkettengesetz entspringt dem Gedanken die Umwelt, Menschen- sowie Kinderrechte zu schützen. Deutsche Firmen sind nun verpflichtet beim Bezug von Waren, Komponenten und Leistungen aus dem Ausland die Einhaltung von Menschenrechten sowie Umweltstandards zu überprüfen. Darüber hinaus müssen sie präventiv gegen weltweite Verstöße und Verletzungen vorgehen.
Das Lieferketten-Gesetz stößt im Volksmund allerdings auf heftige Kontroverse, zumal die Corona-Krise im Jahr 2020 zu erheblichen Disruptionen in den globalen Handelsbeziehungen geführt hat. Statt den Fokus auf global-ethische Fragen zu schieben sind viele deutsche Unternehmen der Meinung zuerst Unterstützung zur Absicherung der Existenz zu bekommen.
Die Umsetzung des Lieferketten-Gesetzes sorgt für mehr Bürokratie, mehr Arbeitsaufwand. Auch erhöhen sich auch die Compliance-Pflichten des Managements. Die Vorgaben des Lieferketten-Gesetzes, insbesondere Informations- und Überwachungspflichten, sollten daher bereits beim Einkauf und der Vertragsgestaltung berücksichtigt und an den Lieferanten weitergegeben werden. Ihre Lieferanten in der Lieferkette sollten Sie bei der Einhaltung der neuen Sorgfaltspflichten weltweit unterstützen. Mit meiner Fachanwalts-Kanzlei für Handels- und Gesellschaftsrecht und internationales Wirtschaftsrecht unterstützen wir Sie hierbei gerne.
Für wen soll das Lieferkettengesetz gelten?
Das geplante Lieferkettengesetz gilt zunächst für alle Unternehmen und ihre globalen Lieferketten ab dem 1. Januar 2023, unabhängig von ihrer Rechtsform. Das Gesetz gilt für Ihr Unternehmen, wenn folgende, geplante Bedingungen zutreffen:
- Der Standort Ihrer Hauptverwaltung, Ihrer Hauptniederlassung, Ihres Verwaltungssitz oder Ihr satzungsmäßiger Sitz ist in Deutschland.
- Die Arbeitnehmerzahl liegt bei mindestens 3.000. Ab dem 1. Januar 2024 gilt das Lieferkettengesetz zusätzlich für alle Unternehmer mit mehr als 1.000 Arbeitnehmer.
- Die Arbeitnehmer sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften sind innerhalb von verbundenen Unternehmen sowie Unternehmensgruppen bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl zu berücksichtigen. Dies betrifft also ebenfalls Arbeitnehmer, die in ausländischen Niederlassungen und Tochterunternehmen beschäftigt sind.
Firmen der MI-Industrie sind jedoch gut beraten, hier die rechtliche Praxis zu beachten, wie genau sich die Anzahl der Arbeitnehmer berechnet.
Die neuen Sorgfaltspflichten für Unternehmer
Das Lieferketten-Gesetz versteht sich als Sorgfaltspflichtengesetz. Es legt menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für alle Unternehmer fest, mit dem Ziel, die internationale Menschenrechtslage und die Einhaltung von Umwelt-Standards zu verbessern. Diese Sorgfaltspflichten betreffen das Management der gesamten Lieferkette („supply chain“).
Die Liste von Sorgfaltspflichten legt gemäß den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschrechte eine allgemeine Definition fest, was als Menschenrechtsverletzung identifiziert wird. Diese Pflichten beziehen sich dabei auf die gesamte Lieferkette, vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt. Das Lieferketten-Gesetz schreibt dem Management des betroffenen Unternehmens folgende Sorgfaltspflichten vor:
- die Einrichtung eines Risikomanagements,
- die Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit, das Risikomanagement zu überwachen, etwa durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten,
- die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen, um die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken im eigenen Geschäftsbereich sowie bei seinen unmittelbaren Zulieferern zu ermitteln,
- die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung der Unternehmensleitung über die Menschenrechtsstrategie des Unternehmens,
- die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich des Unternehmens und gegenüber unmittelbaren Zulieferern,
- das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen, falls eine geschützte Rechtsposition oder eine umweltbezogene Pflicht verletzt werden. Rechtsposition meint dabei alle globalen Menschenrechte, etwa das Verbot von Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Sklaverei, Verstöße gegen Arbeitsschutz usw.
- die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens, in dem Lieferanten und Betroffene jede Information zu möglichen Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards entlang der supply chain melden können,
- die Umsetzung von Sorgfaltspflichten zur Minimierung von Risiken bei mittelbaren Zulieferern, und
- die unternehmensinterne Dokumentation und Berichterstattung.
Bei Verletzungen dieser Sorgfaltspflichten sieht das Gesetz auch einen Straf- und Bußgeldkatalog mit empfindlichen Sanktionen vor. Es können Bußgelder verhängt werden und Firmen für bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. Ich berate Sie als Rechtsanwalt und Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht gerne bei der Umsetzung von internen Maßnahmen zur Einhaltung dieser Sorgfaltspflichten.
Unklarheiten im Lieferkettengesetz
Das Lieferkettengesetz wird ein prägender Grundstein des internationalen Wirtschaftsrechts. Ohne Zweifel hat es Einfluss auf die geschäftliche Strategie deutscher Firmen. In Zukunft werden sich Rechtsabteilungen, Rechtsanwälte, deutsche Gerichte und das Bundesamt für Wirtschaft mit der Ausfuhrkontrolle sowie der Überprüfung der einheitlichen Standards auseinandersetzen.
Nach dem wirtschaftspolitischen Leitbild der sozialen Marktwirtschaft sei die Intention der Regierung die Wahrung der Menschenrechte mit einem europäischen Lieferkettengesetz auf globaler Ebene durchzusetzen. Auch sollen Verstöße gegen Umweltstandards provisorisch verhindert werden. Jedoch gilt der gesetzliche Rahmen der Sorgfaltspflichten und dessen Umsetzung oft als umstritten. Sind die getroffenen Maßnahmen tatsächlich klar, verhältnismäßig, zumutbar oder effektiv zielführend?
Nach dem Lieferkettengesetz sei eine angemessene Weise des Handelns, das den Sorgfaltspflichten genügt, bestimmt nach
- der Art und dem Umfang der Geschäftstätigkeit des Unternehmens
- dem Einflussvermögen des Unternehmers auf den unmittelbaren Verursacher der Verletzung einer geschützten Menschenrechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht,
- der typischerweise zu erwartenden Schwere der Verletzung, der Umkehrbarkeit der Verletzung, und der Wahrscheinlichkeit des Verletzungseintritts einer geschützten Menschenrechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht und
- nach der Art des Verursachungsbeitrages zu dem menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiko.
Wie die Unternehmensführung anhand dieser äußerst vagen Vorgaben, die Sorgfaltspflichten beim supply chain management einhalten soll, erschließt sich nicht. Begriffe wie „Art und Umfang der Geschäftstätigkeit“, „Einflussvermögen“, „typischerweise zu erwartende Schwere“ oder „Art des Verursachungsbeitrag“ sind nicht selbsterklärend. Sie ermöglichen der Unternehmensleitung ohne Beratung, insbesondere durch einen Fachanwalt, keine rechtssichere Beurteilung, ob das Unternehmen seiner Verantwortung gerecht wurde, und die Sorgfaltspflichten eingehalten hat.
Unklarheiten bestehen insbesondere beim generellen Maßstab zur einheitlichen Überprüfung der Sorgfaltspflichten. Zum Beispiel besteht die Gefahr der Willkürlichkeit bei der Realisierung der Pflichten sowie ihrer Überprüfung, je nach Anspruch der Sorgfältigkeit. Ein unkonkreter Maßstab könnte gewiss zu Missverständnissen oder unerwünschten interpretativen Spielraum führen.
Das Einflussvermögen der Unternehmer
Die Unsicherheit ergibt sich auch bei der Frage, ab wann ein Unternehmer sicher sein kann, seine Sorgfaltspflichten wirklich erfüllt zu haben. Die rechtlichen Anforderungen sind nämlich nach dem Einflussvermögen der Unternehmen abgestuft. Im eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zulieferern müssen sie die Einhaltung der Menschenrechte und die Einhaltung international anerkannter Sozialstandards sicherstellen. Bei mittelbaren Lieferanten gelten die Sorgfaltspflichten jedoch nur „anlassbezogen“. Die Unternehmen müssen nach dem Entwurf nur nachforschen und aktiv werden, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen erfahren.
Wie erfahren Firmen von Menschenrechtsverletzungen? Indem sie ihr Beschwerdeverfahren entsprechend ausgestalten. Alle Personen, die durch wirtschaftliche Tätigkeiten eines mittelbaren Zulieferers in einer geschützten Rechtsposition verletzt sein können, und alle Personen, die Kenntnis von einer möglichen Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht haben, müssen die Möglichkeit haben, auf eine solche Verletzung hinzuweisen. Geht ein solcher Hinweis ein, müssen alle Beteiligten der Lieferkette darauf hinwirken, dass die Verletzung verhindert wird. Dies kann einen erheblichen Arbeits-Aufwand darstellen und abseits der Handlungsmacht der jeweiligen Unternehmen stehen.
Compliance- und Praxishinweise
Dass die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz für die deutsche Wirtschaft verbindliche Ziele sein sollten, wird man nicht ernstlich in Zweifel ziehen wollen. Die Sorgfaltspflichten bekämpfen unter anderem ausbeuterische und gefährliche Formen der Kinderarbeit ein. Ungeklärt sei ferner die zivilrechtliche Haftung der Firmen.Der Auffassung der Bundesregierung nach, schafft das Lieferkettengesetz auch in der Gesetzesbegründung lediglich eine Bemühenspflicht, allerdings weder eine Erfolgspflicht noch eine Garantiehaftung.
In Europa gibt es jedoch noch keinen allgemein anerkannten Standard eines Lieferketten-Gesetzes. Die Bundesregierung spricht sogar explizit davon, dass das Lieferkettengesetz an eine künftige europäische Regelung angepasst werden soll mit dem Ziel, Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen zu verhindern. Es ist nur fraglich, wann es eine solche Regelung in Europa tatsächlich geben wird.
Bei Verstößen gegen die neuen Sorgfaltspflichten können gravierende Bußgelder verhängt werden. Betroffene Unternehmen der MI-Branche sollten daher die oben genannten Sorgfaltspflichten tatsächlich umsetzen, um sich vor Bußgeldern zu schützen. Dies gilt insbesondere, wenn sie Waren oder Leistungen aus Afrika, Asien und dem pazifischen Raum beziehen, weil in diesen Regionen Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards verstärkt zu vermuten sind.
Die Unternehmen der MI-Branche sollten auch auf Veröffentlichungen zum Lieferkettengesetz achten. Die Behörden sind angewiesen, branchen-übergreifende oder spezifische Informationen, Hilfestellungen und Empfehlungen zur Einhaltung dieses Gesetzes zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichungen können irgendwann für Rechtssicherheit sorgen. Bis dahin sind Unternehmen auf ihre eigene Einschätzung ihrer Situation und die Zuhilfenahme von Fachleuten angewiesen. Als Rechtsanwalt sowie mit dem Einsatz spezialisierter Rechtsanwälte unterstütze ich Sie bei allen Fragen zum Lieferkettengesetz gerne.