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Belieferungsanspruch und Kontrahierungszwang

Der kartellrechtliche Belieferungsanspruch ist ein scharfes Schwert. Kündigt ein Hersteller oder Lieferant den Vertrag mit seinem Einzelhändler, ist dieser häufig konsterniert, insbesondere wenn die Kündigung ohne Begründung erfolgt. Jeder Händler stellt sich dann die Frage, ob die Kündigung nicht angegriffen werden kann. Immerhin ist der Einzelhändler häufig davon abhängig, dass er Ware von bestimmten Herstellern im Sortiment führen kann. Dies gilt insbesondere, wenn sich wenige Hersteller wie in einem Oligopol den Markt aufteilen und die Kunden daher ein entsprechend breitgefächertes Sortiment des Fachhändlers erwarten.

Nicht selten hat der Anbieter alleine oder im Rahmen eines Oligopol eine besondere Marktmacht inne. Die Wettbewerbsfähigkeit des Händlers leidet dann bei der Beendigung der Belieferung. Hier lohnt es sich zu prüfen, ob gleichwohl aus einem Kontrahierungszwang des Anbieters ein Belieferungsanspruch entsteht. Allerdings sind die Anforderungen an einen solchen Kontrahierungszwang sehr hoch. Die Wirtschaft soll ja gerade von Wettbewerb und Vertragsfreiheit leben. Ein Anspruch auf Belieferung gegen den Hersteller hängt folglich von seine Marktmacht und und der Wettbewerbsfähigkeit des Vertriebsmittlers ohne die abgekündigte Ware ab. Dies gilt auch wenn der Anbieter ein selektives Vertriebssystem betreibt (lesen Sie hier weitere Einzelheiten zum Belieferungsanspruch beim selektiven Vertrieb).

Belieferungsanspruch und Marktstellung

Zur Begründung eines Belieferungsanspruchs kann das Kartellrecht, insbesondere das GWB weiterhelfen. Haben Anbieter eine besondere Marktmacht, dürfen sie diese Marktmacht nicht missbrauchen. Sie dürfen insbesondere den Wettbewerb und den Handel nicht unbillig behindern. Ebenso wenig dürfen sie ein Unternehmen ohne sachlichen Grund nicht anders behandelt als gleichartige Unternehmen.

Es wird vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es mindestens 40% Marktanteil hat. Auch zwei oder mehrere Unternehmen können zusammen marktbeherrschend sein, wenn sie ein Oligopol bilden. Allerdings kann auch bei geringeren Marktanteilen Marktmacht bestehen. Oft ist der Einzelhandel in einem ganzen Land, etwa Deutschland, auf die Belieferung durch einen Hersteller angewiesen. Wenn ein Hersteller besonders nachgefragte Produkte anbietet, lohnt es sich, genauer zu prüfen, ob die Marktmacht dieses Herstellers zugleich zu einem Kontrahierungszwang führt.

Oftmals sind gerade globale Anbieter in ihrer Marktmacht so stark, dass von ihnen andere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit abhängig sind. Von Abhängigkeit spricht man, wenn ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf dritte Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen und ein deutliches Ungleichgewicht zur Gegenmacht der anderen Unternehmen besteht (relative Marktmacht).

Diese Marktmacht darf ein Hersteller oder Lieferant im Fall der Abhängigkeit eines Händlers nicht missbrauchen. Beispiele für den verbotenen Missbrauch von Marktmacht sind insbesondere überhöhte Preise oder Vertragskündigungen, wo ein Kontrahierungszwang besteht. Wenn ein Händler von einer Ware abhängig ist, um im Wettbewerb mit anderen Einzel- oder Fachhändlern bestehen zu können, ist der Anbieter verpflichtet, eine Vertrag für die Belieferung abzuschließen. Der Einzelhändler hat hierauf einen Anspruch. Der Lieferant unterliegt einem gesetzlichen Kontrahierungszwang und muss dem Händler seiner Ware zu den üblichen Konditionen anbieten. Die Kündigung ist unwirksam.

Belieferungsanspruch und sortimentsbedingte Abhängigkeit

Es gibt verschiedene Arten der Abhängigkeit. Eine davon ist die so genannte sortimentsbedingte Abhängigkeit. Ein Fachhändler ist abhängig von einem bestimmten Markenhersteller, wenn er dessen Waren im Sortiment führen muss, um konkurrenzfähig zu sein. Dies gilt insbesondere bei Markenartikeln internationaler Markenhersteller, die die Verbraucher kennen und verlangen.

Entscheidend ist, wie verbreitet die Markenware ist. Bei international bekannten Marken, für die die Verbraucher einen hohen Preis zu zahlen bereit sind, wird man diese eher annehmen können. Dies gilt für die Verbreitung in Ladengeschäften und im E-Commerce, also auf online-Plattformen. Wird ein Produkt in einem ganzen Land vertrieben ist die Bekanntheit größer, als wenn ein Produkt nur regional angeboten wird.

Hat der Lieferant folglich im Markt eine wahrnehmbare Spitzenstellung und folglich auch relative Marktmacht, kann sich hieraus eine Abhängigkeit des Einzelhandels und ein entsprechender Kontrahierungszwang ergeben. Der Lieferant ist dann an seine kartellrechtliche Belieferungspflicht gebunden. Der Anspruch auf einen Vertrag dient dann gerade dem Wettbewerb und der Wettbewerbsfähigkeit von Einzelhändlern. Wann eine solche Spitzenstellung besteht, ist regelmäßig Gegenstand von Gerichtsentscheidungen.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf (Urt. v. 14.4.2021 – Az: VI-U (Kart) 14/20 – Verbundunternehmen) hatte jüngst einen solchen Fall zu entscheiden. Bei der Feststellung einer Spitzenstellungsabhängigkeit kommt regelmäßig der Distributionsrate eine besondere Bedeutung zu. Eine hohe Distributionsrate stellt zumindest bei Waren, die nicht über ein selektives Vertriebssystem abgesetzt werden, ein deutliches Indiz für eine Spitzenstellungsabhängigkeit dar.

Mit einer hohen Distributionsrate steht allerdings die Spitzenstellung des betreffenden Produkts noch nicht fest. Für die Spitzenstellungsabhängigkeit sind vielmehr alle Umstände des konkreten Falles umfassend zu würdigen: Eine hohe Distributionsrate ist bei einem nicht im selektiven Vertrieb vertriebenen Produkt im Allgemeinen eine notwendige Voraussetzung für eine Spitzenstellung. Eine hohe Distributionsrate spricht zwar hierfür. Gleichwohl muss festgestellt werden, dass die Wettbewerbsfähigkeit des eine Spitzenstellung reklamierenden Einzelhändlers nach dem konkreten Zuschnitt seines Geschäftsbetriebs tatsächlich von der Verfügbarkeit eines bestimmten Produkts abhängt.

Feststellung der Spitzenstellung

Im konkreten Fall ging es um ein Verbundunternehmen für Schuhfachgeschäfte und Sportfachgeschäfte und seine vertragsgebundenen Schuheinzelhändler. Beklagt war die europäische Vertriebsgesellschaft des bekannten Sportartikelherstellers, die ein Angebot zum (erneuten) Abschluss unter anderem von gekündigten Lieferverträgen ablehnte. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat entschieden, dass dem Verbundunternehmen kein kartellrechtlicher Belieferungsanspruch zusteht. Die Vertriebsgesellschaft verstößt durch ihre Weigerung nicht gegen das kartellrechtliche Diskriminierungs- oder Behinderungsverbot.

Selbst wenn die Vertriebsgesellschaft ein marktbeherrschendes oder marktstarkes Unternehmen sein sollte, durfte sie ihre geschäftliche Tätigkeit und ihr Absatzsystem nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie es dies für wirtschaftlich sinnvoll und richtig erachtet. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verneinte insbesondere eine sortimentsbedingte Abhängigkeit von den Produkten in Form einer Spitzenstellungsabhängigkeit.

Eine solche ist gegeben, wenn ein Händler ein bestimmtes Produkt in seinem Sortiment führen muss, um von seinen Abnehmern als ein wettbewerbsfähiger Anbieter betrachtet zu werden. Es handelt sich um sog. must-have-Produkte, die durch gleichartige Waren anderer Hersteller im Sortiment nicht ersetzt werden können. Für eine Spitzenstellungsabhängigkeit und damit den Missbrauch der Marktmacht können insbesondere die Bekanntheit der jeweiligen Marke und der Werbeetat sprechen. 

Belieferungsanspruch – Hohe Distributionsrate

Bei der Feststellung einer Spitzenstellungsabhängigkeit kommt regelmäßig der Distributionsrate eine maßgebliche Bedeutung zu. bei vielen Markenprodukten setzt der Verkehr das Angebot eines bestimmten Produkts bei einem Händler als selbstverständlich voraus. Das Fehlen dieser Ware im Angebot führt zu einem Verlust an Ansehen und zu einer gewichtigen Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit des Händlers. Unter diesen Voraussetzungen liegt regelmäßig auch eine hohen Distributionsrate vor. Die Ware wird sich in diesem Fall im Sortiment fast aller vergleichbaren Händler finden.

Eine hohe Distributionsrate stellt daher zumindest bei Waren, die nicht über ein selektives Vertriebssystem abgesetzt werden, ein deutliches Indiz für eine Spitzenstellungsabhängigkeit dar (BGH, Urt. v. 12.12.2017, KZR 50/15 – Rimowa). Das Oberlandesgericht Düsseldorf hebt nun Folgendes hervor: Diese Rechtsprechung ist nicht so zu verstehen, dass mit einer hohen Distributionsrate zugleich die Spitzenstellung des betreffenden Produkts feststeht. Für die Spitzenstellungsabhängigkeit sind vielmehr alle Umstände des konkreten Falles umfassend zu würdigen.

Eine hohe Distributionsrate ist dabei eine notwendige Voraussetzung für eine Spitzenstellung und für einen Belieferungsanspruch. Nur wenn in dem für die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit des Sortiments maßgeblichen räumlichen Gebiet alle oder der weitaus größte Teil dieser Händler die betreffende Ware tatsächlich in ihrem Sortiment führen, ist die Folgerung einer Spitzenstellung gerechtfertigt. Immer muss geprüft werden, ob nach den Verhältnissen des einzelnen Falles die Wettbewerbsfähigkeit des Händlers tatsächlich von der Verfügbarkeit eines bestimmten Produkts abhängt. Eine hohe Distributionsrate macht die Prüfung dieser behaupteten Spitzenstellungsabhängigkeit nicht entbehrlich.

Zusammenfassung

Die Vertragsfreiheit ist ein hohes Gut und kann nur in engen Grenzen so weit eingeschränkt sein, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen einem Kontrahierungszwang unterliegt und damit zugleich die gesetzliche Verpflichtung hat von einer Kündigung eines Vertrags abzusehen. Der hieraus resultierende kartellrechtliche Belieferungsanspruch ist jedoch an hohe Hürden geknüpft.

Neben der Marktbeherrschung oder relativen Marktstärke muss etwa eine Spitzenstellungsabhängigkeit von einem konkreten Produkt bestehen. Nur wenn die Wettbewerbsfähigkeit des gekündigten Händlers – auch seine internationale Wettbewerbsfähigkeit – eingeschränkt ist, kann eine solche Spitzenstellungsabhängigkeit bestehen. 

Der Nachweis der marktbeherrschenden Stellung obliegt dem Händler. Er muss für den Kontrahierungszwang den Missbrauch einer marktstarken Stellung des Anbieters auf dem relevanten Markt nachweisen. Marktmacht kann dabei auch eine relative Marktmacht sein. Eine gesetzliche Pflicht zur Belieferung ergibt sich aus einer Gesamtschau von Distributionsrate, Preis, Qualität und dem Maß der Absatzförderung durch Werbung.

Anwalt Gesellschaftsrecht und Handelsrecht

Dr. Andrelang, LL. M.

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