Eine Lieferverweigerung ist bei einer Spitzenstellung des Herstellers und der Abhängigkeit des Händlers kartellrechtlich unzulässig – wichtig für die Spitzenstellung ist die Distributionsrate, auch bei einer Umstellung auf den selektiven Vertrieb. Als Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht informiere ich Sie hier über die kartellrechtlichen Voraussetzungen eines Belieferungsanspruchs bei einer Lieferverweigerung.
Autor:
Dr. Christian Andrelang, LL.M.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Lieferverweigerung – Worum geht es?
Der Vertrieb über ausgewählte Händler, die in die Präsentation der Markenprodukte investieren müssen, setzt sich in allen Branchen immer weiter durch. Kunden wünschen trotz des weitreichenden Internet-Angebots weiterhin ein „look and feel“-Erlebnis einer Marke, worauf die Hersteller reagieren müssen. Kleinere Händler, die die Anforderungen an die Größe des vorzuhaltenden Sortiments, die Präsentationsfläche und auch an die Investitionen nicht erfüllen können, können diese Produkte nicht anbieten. Bleiben sie nun auf der Strecke? Wann haben sie bei einer Lieferverweigerung einen Belieferungsanspruch? Im Grundsatz gilt die Vertragsfreiheit: Jeder darf sich aussuchen, mit wem er einen Vertrag abschließen möchte und mit wem nicht. Das bedeutet in Konsequenz auch, dass jeder Hersteller über die Art und Weise seines Vertriebs frei entscheiden darf. Im Grundsatz ist eine Lieferverweigerung daher auch kartellrechtlich zulässig.
Ein Hersteller kann seine eigene Vermarktungs-Strategie entwickeln und Händlern entsprechend die Belieferung verweigern. Er kann mit Händlern langfristige Rahmenverträge abschließen, in dem die Vertriebspflichten wie Mindestsortiment, Präsentationsfläche, Anforderungen an den online-Handel des Händlers und Berichtspflichten geregelt sind. Er kann sich aber auch dafür entscheiden, nur auf Bestellung des Händlers zu liefern. Ein Hersteller ist auch stets frei, die Art und Weise seines Vertriebs zu ändern, etwa ein selektives Vertriebssystem einzuführen, indem er Kriterien bestimmt, die Händler erfüllen müssen, um beliefert zu werden. Insbesondere seit dem Coty-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (siehe business insight zu Coty-Urteil hier) und seitdem ergangenen gerichtliche Entscheidungen ist ein selektives Vertriebssystem mit Beschränkungen des online-Handels zulässig, wenn es sich um Luxus- oder wenigstens Prestige-Produkte handelt.
Kartellrechtlicher Belieferungsanspruch – Was ist neu?
Allerdings gibt es eine Ausnahme vom Recht auf Lieferverweigerung, wenn der Hersteller eine besondere Stellung im Markt, eine so genannte Spitzenstellung, hat. Unter welchen Voraussetzungen ein Händler hatte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 12. Dezember 2017 (KZR 50/15) zu entscheiden. Der dortige Kläger betreibt ein Einzelhandelsgeschäft mit Lederwaren und Koffern. Der Kläger verkaufte die Waren vielfach zu Preisen, die unter den von den Herstellern empfohlenen Verkaufspreisen liegen. Damit war der Kläger nicht der Einzige. Dies passte dem Hersteller von hochwertigen Markenkoffern nicht mehr, und er kündigte daraufhin sämtliche Händlerverträge. Zugleich bot er dem Kläger den Abschluss eines neuen Händlervertrags zum selektiven Vertriebssystem an, der unter anderem die Verpflichtung des Händlers enthielt, die Koffer Herstellers in bestimmter Weise zu präsentieren und, insbesondere ein Shop-in-Shop-System des Herstellers zu erwerben und in seinen Läden einzusetzen. Auf den Abschluss des neuen Händlervertrags für sämtliche Ladengeschäfte des Händlers konnten sich die Parteien jedoch nicht einigen. Der Händler klagte nun auf Belieferung und argumentiert, dass er ein so genanntes „kleines bis mittleres Unternehmen“ sei, dass auf die Belieferung mit den Koffern des Herstellers angewiesen sei, weil die Kunden erwarten, dass ein Lederfachgeschäft die Koffer dieses Herstellers in Sortiment hat. Daher habe der Händler keine Ausweichmöglichkeiten auf andere Koffer. Der Hersteller habe mit seinen Koffern eine so genannte Spitzenstellung im Markt und damit eine derartige Bedeutung, dass für die Händler eine Belieferung erforderlich ist, damit die Händler ihre Wettbewerbschancen aufrecht erhalten können.
Das Oberlandesgericht München (Urt. v. 17.9.2015 – U 3886/14 Kart) hat den Belieferungsanspruch bejaht: Der Kofferhersteller hat eine Spitzenstellung auf dem Markt für hochwertige Koffer und der Händler ist umgekehrt als kleines bis mittleres Unternehmen von einer Belieferung abhängig, weil er keine gleichwertigen Ausweichmöglichkeiten auf andere Koffer hat. Für diese Spitzenstellung des Herstellers sprach zudem, dass der Hersteller seine Koffer über eine Großzahl an vergleichbaren Händlern vertrieb. Eine solche hohe Distributionsrate führe zu einer Spitzenstellung des Herstellers. Besteht zusätzlich eine Abhängigkeit eines kleinen bis mittleren Unternehmens, kann ein Belieferungsanspruch bestehen. Der Bundesgerichtshofs (Urt. v. 12.12.2017 – KZR 50/15) war mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts München nicht ganz einverstanden, allerdings nur in einem Punkt: Den Bundesgerichtshofs störte, wie das Oberlandesgericht die Distributionsrate ermittelte und von ihr auf die Spitzenstellung und daher die Marktmacht des Herstellers schloss.
Was bedeutet das?
Dies bedeutet aber umgekehrt, dass auch der Bundesgerichtshof eine Lieferverweigerung bei einer Spitzenstellungsabhängigkeit durch eine hohe Distributionsrate für kartellrechtlich unzulässig hält und einen Belieferungsanspruch bejaht, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Der Händler muss ein kleines bis mittleres Unternehmen sein. Indiz hierfür kann der Umsatz sein, wenn dieser unter EUR 25 Millionen pro Jahr liegt. Entscheidend kommt es jedoch auf den Wettbewerb an, in dem der Händler sein Unternehmen betreibt. Ist sein Unternehmen, klein, weil seiner Wettbewerber größer sind, kommt es auf die Anzahl seiner Standorte oder seines Umsatzes nicht an. Steht eine sortimentsbedingte Abhängigkeit in Rede, kommt es nach dem Bundesgerichtshof regelmäßig entscheidend auf einen Vergleich der Größe des behinderten Unternehmens mit seinen Wettbewerbern an.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss zudem eine Spitzenstellungsabhängigkeit bestehen. Dies ist vor Gericht oftmals schwer nachzuweisen. Eine solche liegt vor, wenn ein Hersteller aufgrund der Qualität und Exklusivität seines Produkts ein solches Ansehen genießt und eine solche Bedeutung auf dem Markt erlangt hat, dass der nachfragende Händler in seiner Stellung als Anbieter darauf angewiesen ist, gerade (auch) dieses Produkt zu führen, weil sein Fehlen im Angebot zu einem Verlust an seinem eigenen geschäftlichen Ansehen und zu einer gewichtigen Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit des Händlers führte und sich daher vorhandene Möglichkeiten, auf andere Anbieter auszuweichen, nicht als ausreichend und zumutbar erweisen. Ob eine solche Form der sortimentsbedingten Abhängigkeit vorliegt und damit die Lieferverweigerung kartellrechtlich zulässig ist, ist immer konkret am Einzelfall zu beurteilen. Hinweise auf eine Spitzenstellung des Anbieters können sich nach dem Bundesgerichtshof aufgrund der hervorragenden Qualität, der einmaligen technischen Gestaltung oder der exponierten Werbung ergeben.
Maßgebliche Bedeutung kommt regelmäßig der Distributionsrate zu. Eine hohe Distributionsrate stellt zumindest bei Waren, die nicht über ein selektives Vertriebssystem abgesetzt werden, ein deutliches Indiz für eine Spitzenstellungsabhängigkeit dar. Betreibt der Hersteller allerdings ein selektives Vertriebssystem, darf die Spitzenstellung nicht alleine anhand der Distributionsrate beurteilt werden. In diesem Fall beliefert der Anbieter nämlich nur solche Händler, die bereit sind, bestimmte qualitative Vorgaben, etwa eine gehobene Ausstattung oder eine bevorzugte Lage des Ladengeschäfts, zu erfüllen. Entschließt sich ein Anbieter zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu, auf ein qualitatives selektives Vertriebssystem umzustellen, spricht es regelmäßig für das Vorliegen einer Spitzenstellungsabhängigkeit, wenn sich für den Zeitraum vor Einführung des selektiven Vertriebssystems eine hohe Distributionsrate feststellen lässt. Bei deren Ermittlung muss auch die Anzahl der Händler einbezogen werden, die die Produkte des Herstellers nicht vertreiben oder sonst von der Lieferverweigerung betroffen sind.
Lieferverweigerung – Was ist jetzt für Sie wichtig?
Trotz des Grundsatzes der Vertragsfreiheit kann ein Hersteller unter bestimmten Voraussetzungen ein Belieferungsanspruch bestehen. Hier seien auch die MI-Hersteller gewarnt. Je besser ihre Produkte im Markt platziert sind, desto eher können kleine Händler argumentieren, dass sie auf diese Produkte angewiesen sind, um überhaupt wettbewerbsfähig zu sein. In diesem Fall muss der Hersteller den Händler beliefern. Der Händler muss allerdings die übrigen Konditionen des Herstellers akzeptieren, die der Hersteller sonst gegenüber gleichartigen Unternehmen anwendet. Der Hersteller darf also verlangen, dass die Belieferung des MI-Händlers nur auf der Grundlage des Händlervertrags, also zu den Konditionen dieses Vertrags, etwa mit Mindestsortimenten mit dem jeweilig aktuellen Produktsortiment zu den Preisen der jeweils aktuellen Händlerpreislisten, erfolgt. Eine Abhängigkeit hat keine Besserstellung des Händlers zur Folge. Bei einer Spitzenstellung des Herstellers dürfte die quantitative Selektion gegenüber abhängigen kleinen bis mittleren Unternehmen jedoch eingeschränkt sein.