Der jeweilige Geschäftsführer einer GmbH haftet auf Schadensersatz, wenn er seine gesetzlichen Sorg-faltspflichten verletzt. Damit überhaupt solche Sorgfaltspflichten bestehen, muss diejenige Person zum Geschäftsführer bestellt sein. Allerdings kann auch ein so genannter faktischer Geschäftsführer unter bestimmten Voraussetzungen wie ein normaler Geschäftsführer für Sorgfaltspflichtverletzungen haften.
I. Bestellter vs. faktischer Geschäftsführer
Der “gesetzliche” Geschäftsführer einer GmbH wird als so genanntes Organ ordnungsgemäß durch einen Beschluss der Gesellschafterversammlung bestellt. Er ist damit mit allen gesetzlichen Befugnis-sen und Pflichten nach dem GmbHG ausgestattet. Er kann damit alleine oder zusammen mit einem anderen Geschäftsführer für die GmbH handeln und alle Geschäftsführungsmaßnahmen treffen. Der bloße Gesellschafterbeschluss ist hierfür ausreichend. Die Eintragung des Geschäftsführers im Han-delsregister hat nur deklaratorische Wirkung.
Ein faktischer Geschäftsführer ist demgegenüber eine Person, die wie ein Geschäftsführer einer GmbH tatsächlich bzw. “faktisch“ tätig wird, ohne jedoch förmlich durch Gesellschafterbeschluss der Ge-sellschafterversammlung als Geschäftsführer bestellt zu sein. Es fehlt also ein wirksamer Gesell-schafterbeschluss. Dies kann etwa daran liegen, dass der Bestellungsbeschluss unwirksam ist, etwa weil nicht alle Gesellschafter zu der Gesellschafterversammlung eingeladen waren.
Oftmals ergibt sich die faktische Geschäftsführung auch aus “den Umständen”, etwa weil zum Beispiel der Mehrheitsgesellschafter neben dem bestellten Geschäftsführer ebenfalls für die GmbH tätig wird. Haben Kreditinstitute sich maßgeblichen Einfluss auf eine in finanzieller Schieflage agierende Gesell-schaft gesichert, können sogar deren Mitarbeiter als faktische Geschäftsführer in Frage kommen, wenn die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen an die faktische Geschäftsführung erfüllt sind.
II. Einverständnis des bestellten Geschäftsführers und Gesellschafters
Die fehlende Bestellung durch einen Gesellschafterbeschluss ist jedoch nur eine Voraussetzung für eine faktische Geschäftsführung und die sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen.
Zudem ist erforderlich, dass der “faktische” Geschäftsführer mit Wissen der Gesellschafter und mit Einverständnis des ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführers tatsächlich Geschäftsführungsaufga-ben wahrnimmt (BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, NJW 1988, 1789; BGH, Urt. v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, NZG 2002, 520; BGH, Urteil vom 27. 6. 2005 – II ZR 113/03, NZG 2005, 755; BGH Urt. v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, NZG 2005, 816).
Erforderlich ist zudem ein Handeln “wie ein Geschäftsführer” nach außen im Rechts- und Geschäfts-verkehr. Faktische Geschäftsführung ist daher nicht jedes Handeln im Namen der Gesellschaft. Nach der Rechtsprechung des BGH ist hierfür ein nach außen hervortretendes, üblicherweise der Ge-schäftsführung zuzurechnendes Handeln erforderlich (BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, NJW 1988, 1789; bestätigend BGH, Urt. v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, NJW 2002, 1803).
III. Indizien für faktische Geschäftsführung
Über die Indizien und Kriterien, wann eine faktische Geschäftsführung vorliegt, besteht eine gewisse Unsicherheit. Denn mangels gesetzlichem Leitbild eines Geschäftsführers kann grundsätzlich nicht mithilfe rechtlicher Maßstäbe bewertet werden, inwieweit jemand „wie“ ein Geschäftsführer auftritt. Erforderlich ist daher, im jeweiligen Einzelfall anhand wirtschaftlicher Kriterien und Indizien zu prüfen und festzustellen, ob die Tätigkeit des “faktischen Geschäftsführers” funktional mit der ei-nes bestellten Geschäftsführer vergleichbar ist. Maßgebend ist danach, ob und welche „Führungsauf-gaben“ der faktische Geschäftsführer wahrgenommen hat und wie das Ausmaß und die Intensität der von ihm übernommenen Unternehmensführung objektiv zu beurteilen sind.
Indizien sind nach der Rechtsprechung sind insbesondere folgende:
- Die handelnde Person ist nicht nur innerhalb der GmbH, insbesondere gegenüber deren Mit-arbeitern, die überragende und beherrschende Persönlichkeit in der Geschäftsleitung, die sich um alles kümmert.
- Die handelnde Person trifft sämtliche wesentlichen, für die Führung des Unternehmens be-deutsamen Entscheidungen.
- Die handelnde Person tritt gegenüber den ordentlichen Geschäftsführern als “Chef” auf, so dass diese sich unterordnen.
- Die handelnde Person tritt nach außen im Verhältnis zu den Kunden der Gesellschaft auf, be-sucht diese regelmäßig und führt mit Ihnen Vertragsverhandlungen.
- Die handelnde Person zieht einen oder mehrere für das Unternehmen der GmbH entschei-dend wichtigen Geschäftsbereich unter Ausschaltung der Geschäftsführer an sich.
- Die handelnde Person stellt in eigener Verantwortung das Personal ein.
- Die handelnde Person führt eigenverantwortlich ohne Hinzuziehung der ordentlichen Ge-schäftsführer Kreditverhandlungen mit wichtigen Kreditgebern der Gesellschaft.
- Dass die handelnde Person nur “sporadisch” am Geschäftssitz anwesend ist, steht der Qualifi-kation als faktischer Geschäftsführer nicht entgegen.
Eine rein gesellschaftsinterne Einwirkung auf die satzungsmäßigen Geschäftsführer reicht für eine faktische Geschäftsführung nicht aus. Es kommt auf den “Außenauftritt” des handelnden faktischen Geschäftsführers an (BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, NJW 1988, 1789; BGH, Urt. v. 25 2.2002 – II ZR 196/00, NJW 2002, 1803; BGH, Beschl. v. 11. 2. 2008 – II ZR 291/06, NZG 2008, 468; OLG Mün-chen, Urt. v. 23.01.2019 – 7 U 2822/17; NZG 2019, 544; OLG München, Urt. v. 8.9.2010 – 7 U 2568/10, ZIP 2010, 2295). Die folgenden Handlungen sind vornehmlich der Sphäre der Gesell-schafter zugeordnet und daher beispielsweise für sich genommen nicht für die Bejahung einer fakti-schen Geschäftsführung ausreichend
- Die alleinige Kontoverfügungsmacht (BGH, Beschl. v. 11. 2. 2008 – II ZR 291/06, NZG 2008, 468). Wenn jedoch ein eigenes, nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäfts-führung zuzurechnendes Handeln zusätzlich zu der Kontoverfügungsgewalt gegeben ist, liegt faktische Geschäftsführung vor (OLG München, Urt. v. 23.1.2019 – 7 U 2822/17, GWR 2019, 107),
- (Mit)bestimmung der Grundzüge der Unternehmenspolitik,
- (Mit)beschlussfassung von Sanierungskonzepten,
- (Mit)entscheidung über ungewöhnliche oder außergewöhnliche Unternehmensmaßnah-men, oder
- Einflussnahme auf die Auswahl und Einstellung leitender Angestellter (OLG München, Urt. v. 8.9.2010 – 7 U 2568/10, ZIP 2010, 2295).
IV. Verhältnis faktischer Geschäftsführer und bestellter Geschäftsführer
Eine faktische Geschäftsführung kann angenommen werden, wenn der im Handelsregister eingetra-gene Geschäftsführer tatsächlich keiner Geschäftsführertätigkeit nachkommt, sich aus den Buchfüh-rungsunterlagen keine wie auch immer geartete geschäftliche Tätigkeit des eingetragenen Geschäfts-führers ergibt, stets nur der “faktische Geschäftsführer” in Erscheinung tritt und der nominelle Ge-schäftsführer die Geschäftsführung dem “faktischen Geschäftsführer” überlässt und sich nicht weiter darum kümmert (OLG München, Urt. v. 23.01.2019 – 7 U 2822/17; NZG 2019, 544).
Die Existenz eines ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführers schließt einen parallelen faktischen Geschäftsführer nicht aus. Ein Nebeneinander ist möglich (BGH, Urt. v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, NZG 2002, 520; BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, NJW 1988, 1789). Die Rechtsprechung ver-langt auch keine dauerhafte ununterbrochene Einmischung des faktischen Geschäftsführers. Die Übernahme bzw. die Durchführung einzelner Geschäftsführungsmaßnahmen wäre für das Nebenei-nander ausreichend. Ist allerdings ein ordnungsgemäß bestellter Geschäftsführer tätig, muss der fak-tische Geschäftsführer eine „überragende Stellung“ innehaben (BGH, Urt. v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, NJW 1983, 240; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.10.1987 – 5 Ss 193/87 200/87 I, NJW 1988, 3166), indem er die Aufgaben der Geschäftsleitung „in maßgeblichem Umfang“ übernommen hat (vgl. BGH NJW 1988, 1789; OLG Köln BeckRS 2023, 40199 Rn. 31; BayObLG NJW 1997, 1936; OLG Saarbrücken NZI 2002, 130). Nicht ausreichend wäre die bloße Möglichkeit der Einflussnahme des “faktischen Geschäftsführers” auf die Geschäftsführung.
V. Rechtsfolgen der faktischen Geschäftsführung
- Erklärungen für und gegenüber der Gesellschaft
Da ein faktischer Geschäftsführer kein wirksam bestelltes Organ im Sinne des GmbHG ist, kann er die GmbH rechtlich nicht wirksam auf gesetzlicher Grundlage vertreten. Häufig werden seine Willenser-klärungen jedoch aufgrund (konkludent) erteilter Vollmacht oder aufgrund Duldungs- oder An-scheinsvollmacht Wirkung für und gegen die GmbH entfalten. Dem faktischen Geschäftsführer kön-nen mangels Organstellung auch keine für die GmbH bestimmten Erklärungen oder Verwaltungsakte kraft Gesetzes bekannt gegeben werden. Auch hierfür ist eine konkludente Empfangsvollmacht oder Duldungs- oder Anscheinsvollmacht erforderlich. - Zurechnung von Wissen und sonstigem Handeln
Der GmbH wird das Handeln und Wissen des faktischen Geschäftsführers jedoch wie das des ord-nungsgemäß bestellten Geschäftsführers zugerechnet (OLG Jena, Beschl. v. 20.11.2001 – 6 W 678/01, NJOZ 2002, 1558).
VI. Haftung des faktischen Geschäftsführers
Jeder ordnungsgemäß bestellte Geschäftsführer haftet der GmbH gegenüber für die Verletzung seiner organschaftlichen Sorgfaltspflichten, § 43 Abs. 2 GmbHG. Diese persönliche Haftung kann auch den faktischen Geschäftsführer treffen, obwohl er an sich mangels Bestellungsakt keine gesetzlichen Sorg-faltspflichten hat.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, NJW 1988, 1789) bejaht allerdings eine persönliche Haftung des faktischen Geschäftsführers wegen Sorgfaltspflichtver-letzung gegenüber der GmbH nur dann, wenn der faktische Geschäftsführer die Geschicke der Gesell-schaft – und zwar nicht nur durch interne Einwirkung auf die satzungsmäßigen Geschäftsführer, son-dern durch eigenes, auch nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzu-rechnendes Handeln – maßgeblich in die Hand genommen hat, wobei nicht erforderlich ist, dass die gesetzliche Geschäftsführung vollständig verdrängt wird.
Der Grund für die Haftung des tatsächlichen Geschäftsführers liegt darin begründet (BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, NJW 1988, 1789),
“dass derjenige, der ohne dazu berufen zu sein, wie ein Geschäftsführer handelt, auch die Verantwortung eines Geschäftsführers tragen und wie ein solcher haften muss, wenn nicht der Schutzzweck des Gesetzes gefährdet werden soll. Dazu ist es jedoch nicht erforderlich, dass er die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdrängt hat. Es muss jedenfalls bei der GmbH, die auf Fremdorganschaft beruht und stets mehrere Geschäftsführer haben kann, ausreichen, dass der Betreffende in maßgeblichem Umfang Geschäftsführungsfunktionen übernommen hat, wie sie nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag für den Geschäftsführer oder Mitgeschäftsführer kennzeichnend sind.”
Einen faktischen Geschäftsführer kann daher auch die Pflicht für die rechtzeitige Stellung des Insol-venzantrags treffen. Ebenso haftet der faktische Geschäftsführer wegen unerlaubter Handlung aus Delikt. Auch hierfür gelten die oben beschriebenen Grundsätze (BGH, Urteil vom 27. 6. 2005 – II ZR 113/03, NZG 2005, 755):
“Für die deliktische Haftung (hier: § 823 II BGB i.V. mit § 266 StGB) einer Person als fakti-scher Geschäftsführer einer GmbH ist es erforderlich, dass der Betreffende nach dem Ge-samterscheinungsbild seines Auftretens die Geschicke der Gesellschaft – über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus – durch eigenes Handeln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen hat (im Anschluss an BGH, Urt. v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00, NZG 2002, 520)
VII. Zusammenfassung
Nach der Rechtsprechung des BGH ist für die Haftung des faktischen Geschäftsführer nicht erforder-lich, dass der faktische Geschäftsführer die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdrängt. Entschei-dend, aber auch erforderlich ist, dass der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft mit Wissen und Wollen der Gesellschafter und bestellten Geschäftsführer maßgeblich in die Hand genommen hat. Dazu reicht eine rein interne Einwirkung auf die satzungsmäßigen Geschäftsführer nicht aus. Es muss auch ein eigenes, nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnendes Handeln gegeben sein.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, haftet der faktische Geschäftsführer für die Verletzung von Sorg-faltspflichten, die einen ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer treffen, auf Schadensersatz.