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Liefervertrag – Grenzen von Lieferverweigerung und Kündigungsrecht

Die Hersteller und Lieferanten von Sortimenten investieren viel Zeit und Geld in den Aufbau ihrer Marke und die markengerechte Sortimentsgestaltung. Sie erwarten daher, dass die belieferten Händler ihre Vertriebspflichten einhalten. Tun sie dies nicht, weil sie die Marke nicht promoten, gegen Wettbewerbsverbote verstoßen, die Regelungen zum Online-Handel nicht einhalten oder den Grau-markt beliefern, wollen die Hersteller die Lieferung verweigern, die Vertragsbeziehung durch außerordentliche Kündigung beenden und Schadensersatz vom Händler verlangen.

Anspruch auf Belieferung bzw. Fortsetzung der Vertragsbeziehung

Mit dem Lieferanspruch eines Händlers korrespondiert die Verpflichtung eines Unternehmens zur Lieferung von Produkten oder Dienstleistungen an den Händler. Rechtliche Grundlage eines Lieferanspruchs ist zunächst ein Liefervertrag oder Vertragshändlervertrag. Hierbei gilt jedoch der Grundsatz der Vertragsfreiheit, wonach kein Unternehmen verpflichtet ist, mit einem anderen Unternehmen einen Vertrag abzuschließen. Folglich gilt auch der Grundsatz, dass kein Hersteller verpflichtet ist, Einzelhändler mit dem eigenen Sortiment zu beliefern. Ebenso ist jeder Hersteller frei, einen Vertrag innerhalb der vereinbarten Kündigungsregelungen, insbesondere den vereinbarten oder gesetzlich zwingenden Kündigungsfristen, zu beenden. Von diesem Grundsatz der Vertragsfreiheit gibt es jedoch Ausnahmen. Insbesondere das Kartellrecht und das Wettbewerbsrecht setzen Herstellern und Verkäufern Grenzen im Umgang mit Händlern.

Marktbeherrschung

Eine dieser Ausnahme ist der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Eine marktbeherrschende Stellung ergibt sich nach den gesetzlichen Regelungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) oder von Art. 101 Abs. 1 AEUV, wenn ein Unternehmen in einem bestimmten Produktmarkt in Deutschland einen besonders hohen Marktanteil von mindestens 40% hat. Hat ein Hersteller auf dem europäischen Markt einen Marktanteil von 33%, gilt er bereits dann als marktbeherrschend. In der Praxis ist äußerst herausfordernd, Marktbeherrschung nachzuweisen. In der Regel muss man hierfür auf Ermittlungen der Kartellbehörden wie der Europäischen Kommission und dem Bundeskartellamt zurückgreifen. Kartellbehörden spielen eine entscheidende Rolle bei der Überwachung und Durchsetzung von Wettbewerbsregeln. Im Zusammenhang mit Lieferansprüchen, Spitzengruppenabhängigkeit und Wettbewerbsverboten erfordern die Bewertung von Marktmacht, die Identifizierung von Spitzengruppen und die angemessene Definition von Lieferansprüchen oft komplexe Analysen. Kartellbehörden sind jedoch in der Lage, die Dynamik verschiedener Branchen zu verstehen und angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um fairen Wettbewerb zu gewährleisten.

Zu berücksichtigen ist, dass eine marktbeherrschende Stellung nicht illegal ist. Kritisch wird es erst, wenn eine marktbeherrschende Stellung missbraucht wird. Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein Marktbeherrscher seine Händler ohne sachlich gerechtfertigten Grund ungleich behandelt oder seine Wettbewerber unbillig behindert. Dies kann sich in Treuerabatten, Mindestabnahmepflichten, Lizenzverweigerungen oder Kopplungsangeboten zeigen. Es wird daher als missbräuchlich angesehen, wenn die marktbeherrschende Partei ihre Position und Marktstellung ausnutzt, um sich wettbewerbswidrige Bedingungen oder unfaire Vorteile zu verschaffen. In der Praxis relevanter sind jedoch wahrscheinlich die bloße Marktstärke eines Unternehmens und die Abhängigkeit anderer Unternehmen, insbesondere Händler von ihm.

Marktstärke und Abhängigkeit eines Händlers

Händler können je nach Produktart darauf angewiesen sein, die Produkte aller führenden Hersteller in ihrem Sortiment führen zu können, um im Kampf um die Endkunden Wettbewerbsvorteile zu haben. Abhängigkeit liegt immer dann vor, wenn ausreichende und zumutbare Möglichkeiten auf Dritte Unternehmen auszuweichen nicht bestehen und ein deutliches Ungleichgewicht zur Gegenmacht der anderen Unternehmen besteht. Dies wird auch als relative Marktmacht bezeichnet, § 19 Abs. 1 S. 1 GWB.

Im Fall der Abhängigkeit kommt es also nicht auf den Marktanteil an, sondern auf die besonderen Eigenschaften der Waren und Dienstleistungen. Die Abhängigkeit kann sich auf ein bestimmtes Sortiment beziehen, die Zugehörigkeit eines Unternehmens zu einer Spitzengruppe oder auf die Ausrichtung auf ein bestimmtes Unternehmen – etwa eine konkrete Herstellermarke im Kfz-Neuwagenhandel. Im Rahmen des Wettbewerbsrechts ist es von entscheidender Bedeutung sicherzustellen, dass Unternehmen ihre Marktbeherrschung nicht dazu missbrauchen, anderen Marktteilnehmern den Zugang zu wichtigen Ressourcen zu verwehren. Ist ein marktbeherrschendes Unternehmen zur Belieferung verpflichtet, darf es einen bestehenden Vertrag nicht kündigen, wenn nicht ein wichtiger Grund vorliegt. Im Fall der unberechtigten Kündigung und der Einstellung der Belieferung hat das betroffene Unternehmen einen Anspruch auf Fortsetzung der Belieferung und auf Schadensersatz.

Sortimentsbedingte Abhängigkeit

Ein wichtiger Fall der sortimentsbedingten Abhängigkeit, § 20 Abs. 1 GWB, ist die sogenannte Spitzengruppenabhängigkeit. Spitzengruppenabhängigkeit meint die Abhängigkeit von Unternehmen von einer kleinen, anerkannten Markenherstellern, auch als Spitzengruppe bezeichnet. Wenn ein Unternehmen übermäßig von einer solchen Gruppe abhängig ist, kann dies zu ungesunden Machtkonzentrationen führen. In der Rechtsprechung sind bestimmte Voraussetzungen festgelegt, die erfüllt sein müssen, damit eine sortimentsbedingte Abhängigkeit rechtlich zu einem Anspruch auf Belieferung führt. Ein besonderes Beispiel hierfür ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall “Matratzenpreisbrecher” vom 12. September 2023 (KZR 39/21).

Das abhängige Unternehmen war im Vertrieb von Matratzen, vorwiegend im Online-Vertrieb, tätig. Es wurde längere Zeit von der beklagten Matratzenherstellerin beliefert. Irgendwann stellte die Matratzenherstellerin die Belieferung jedoch ein und führte keine Bestellungen mehr aus. Das abhängige Unternehmen sah den Grund für die Einstellung der Belieferung in ihrer fehlenden Preisdisziplin. Das Bundeskartellamt verhängte sogar eine Geldbuße in Höhe von EUR 8,2 Mio. wegen verbotener vertikaler Preisbindung. Das abhängige Unternehmen forderte nun Schadensersatz in Höhe von mindestens EUR 2,6 Mio zum einen wegen der Nichtbelieferung und zum anderen, weil die Matratzenherstellerin andere Matratzenlieferanten veranlasst hat, das abhängige Unternehmen nicht mehr zu beliefern, also ein so genannter Boykott. Eine sortimentsbedingte Abhängigkeit in Form einer Spitzengruppenabhängigkeit liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn ein Händler eine bestimmte Anzahl allgemein anerkannter Marken aus einer Spitzengruppe im Sortiment benötigt, um wettbewerbsfähig zu sein.

Will ein Händler Schadensersatzansprüche geltend machen oder sich gegen eine Kündigung wehren, muss er die Spitzengruppenabhängigkeit beweisen. Eine sortimentsbedingte Abhängigkeit kann bereits dann in Betracht kommen, wenn ein Händler nach den Erwartungen seiner Abnehmer darauf angewiesen ist, auch nicht austauschbare Waren oder Leistungen, insbesondere Produkte höherer und niedrigerer Qualität im Sortiment zu führen. Es kommt daher auf die Unverzichtbarkeit des Sortiments an. Entscheidend ist der Nachweis, dass das Produktsortiment des Herstellers oder Anbieters für die andere unverzichtbar ist. Dies bedeutet, dass die abhängige Partei aufgrund der spezifischen Produkte oder Dienstleistungen, die die andere Partei anbietet, nicht oder nicht zumutbar auf

alternative Anbieter umschalten kann. Der Händler muss auch darlegen, mit welchen Händlern er selbst vergleichbar ist, wie die Spitzengruppe definiert ist, welche Anbieter zu dieser zählen und inwieweit er (auch) von anderen Anbietern aus der Spitzengruppe nicht beliefert wird.

Die Rechtsprechung prüft daher regelmäßig, ob es für die abhängige Partei zumutbare Alternativen gibt, die ihr ermöglichen würden, sich von der sortimentsbedingten Abhängigkeit zu lösen. Wenn es praktisch keine realistischen Substitutionsmöglichkeiten gibt, wird dies die Anzeichen für eine sortimentsbedingte Abhängigkeit verstärken.

Selektiver Vertrieb und Graumarkt-Import

Unabhängig von der Marktstellung kann ein Händler eines selektiven Vertriebssystems verlangen, dass der Hersteller den Graumarkthandel mit den Vertragsprodukten unterbindet. Der in einem selektiven Vertriebssystem autorisierte Händler investiert in die markengerechte Präsentation der Produkte und fördert so das Markenimage. „Trittbrettfahrer“, also nicht autorisierte Händler, die sich Zugang zu den Markenprodukten verschaffen, aber nicht in die Markenpräsentation investieren, haben einen Vorteil, weil sie einerseits vom Markenimage profitieren, aber andererseits mangels Investitionsdruck zu geringeren Preisen an Endabnehmer verkaufen können.

Hierbei ist problematisch, dass der Unternehmen, der das selektive Vertriebssystem betreibt, mit den nicht autorisierten Händler bzw. Graumarktverkäufern gerade keinen Vertrag abgeschlossen hat und daher nicht wegen Vertragsverletzungen gegen die Graumarkthändler vorgehen kann. Andererseits ist er gegenüber den autorisierten Händlern vertraglich verpflichtet, die Belieferung von nicht autorisierten Verkäufern zu unterlassen.

Der Hersteller hat jedoch gesetzliche Möglichkeiten des Markenrechts und des Kartellrechts, den Graumarktverkauf zu unterbinden. Nach einem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 29. September 2022 (Az: 37 O 95/18) gilt eine Ausnahme vom sogenannten Erschöpfungsgrundsatz. Wenn ein Hersteller seine Markenprodukte einmal in der Europäischen Union verkauft hat, kann er keine Markenrechte geltend machen. Dies gilt jedoch nicht, wenn ein berechtigter Grund vorliegt. Werden Luxusprodukte wie etwa Luxuskosmetik in einem Umfeld, insbesondere unter Umgehung eines selektiven Vertriebssystems, verkauft, das geeignet ist, das Markenimage der Marke und der Markenprodukte zu schädigen, kann der Hersteller Unterlassung, Auskunftserteilung und Schadensersatz verlangen. Erforderlich ist, dass es sich um ein Luxusprodukt handelt, das in einem entsprechenden selektiven Vertriebssystem vertrieben wird und das die Qualität der Markenpräsentation durch den Graumarktverkäufer dem Markenimage im Rahmen des selektiven Vertriebs nicht entspricht.

Fazit

Lieferanspruch, Spitzengruppenabhängigkeit und Wettbewerbsverbot sind eng miteinander verbundene Themen im Kartellrecht. Die sortimentsbedingte Abhängigkeit bezieht sich auf eine rechtliche Situation, in der eine Vertragspartei aufgrund der Art oder des Umfangs ihres Sortiments von einer anderen Partei abhängig ist. Lieferanten und verkaufende Unternehmen sollten proaktiv sicherstellen, dass ihre Geschäftspraktiken im Einklang mit den Wettbewerbsregeln stehen. Dies erfordert eine sorgfältige Überwachung der Kundenbeziehungen, eine Bewertung der Marktmacht und die Umsetzung von Maßnahmen, um eine übermäßige Abhängigkeit von einer Spitzengruppe zu vermeiden. Gleichermaßen sind Hersteller auch gehalten, ihre Händler gegen Graumarktverkäufer zu schützen.

Anwalt Gesellschaftsrecht und Handelsrecht

Dr. Andrelang, LL. M.

Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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