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Vertikal-GVO 720/2022 – Preisvorgabe, Preisempfehlung und Preisvergleich

Die neue Vertikal-GVO 720/2022, kurz für “Gruppenfreistellungsverordnung”, der Europäischen Kommission aus dem Juni 2022 und ihre Leitlinien enthalten nach wie vor das Verbot für den Anbieter bzw. Lieferanten, dem Händler bzw. Abnehmer Preise vorzugeben, die wie Mindestpreise oder Fixpreise wirken und die der Händler gegenüber seinen Kunden zu setzen hat. Der Wiederverkäufer muss stets frei bleiben, für sein Angebot an Waren die Verkaufspreise selbst festzusetzen. Ebenso darf dem Händler nicht verboten werden, Portale für einen Preisvergleich durch die Kunden zu nutzen und sein Angebot dort anzubieten. Zulässig sind nach der Vertikal-GVO 720/2022 nur unverbindliche Empfehlungen für Verkaufspreise und Höchstpreise.

Grundsatz: Unverbindliche Preisempfehlungen sind zulässig

Unverbindliche Empfehlungen für Verkaufspreise und Informationen des Anbieters gegenüber Händlern, wie sie ihre Wiederverkaufspreise am besten gestalten können, sind zulässig. Allerdings können bestimmte Formen kartellrechtlich kritisch sein. Jede unmittelbare oder mittelbare Beschränkung der Möglichkeit der Händler, ihre Wiederverkaufspreise selbst festzusetzen, ist eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung und wird vom Bundeskartellamt immer stärker und konsequenter geahndet.

Das bloße Überreichen einer Liste mit unverbindlichen Empfehlungen für Wiederverkaufspreise durch den Lieferanten an nachfragende Händler bewirkt keine kartellrechtlich unzulässige Preisbindung und ist daher erlaubt. Ein Anbieter darf bei der Überreichung einer unverbindlichen Preisliste daher auch die Gründe für die Preisempfehlung erläutern und grundsätzlich erklären, welche Strategie der Lieferant für die Positionierung und Vermarktung der Produkte aus den Sortimenten des Unternehmens verfolgt.

Erforderlich ist aber, dass die Empfehlung rechtlich und tatsächlich unverbindlich bleibt. Sämtliche direkten oder verkappten Beschränkungen der Händler in ihrer freien Preisfindung sind daher unzulässig. Bei jeder Vereinbarung oder – auch stillschweigend – abgestimmten Verhaltensweise zwischen dem Lieferanten und dem Abnehmer in mündlicher oder schriftlicher Form zur verbindlichen Festsetzung von Wiederverkaufspreisen oder von Untergrenzen für (Aktions)preise, handelt es sich um Beschränkungen des Wettbewerbs, die in der Regel eine Wettbewerbsbeschränkung und einen kartellrechtlichen Verstoß bedeuten, ohne dass eine kartellrechtliche Freistellung im Einzelfall denkbar ist.

Übersicht über in der Regel zulässige Maßnahmen

Das Kartellrecht lässt folgende vertikalen Vereinbarungen über Wiederverkaufspreis für das Angebot des Wiederverkäufers zu.

Unverbindliche Preisempfehlungen (UVP)

Unverbindliche Preisempfehlungen, kurz “UVP”, und die Überreichung von Preislisten mit unverbindli­chen Preisempfehlungen sind für sich genommen kartellrechtlich zulässig. Die Grenze ist dort zu ziehen, wo die Preisempfehlung zwar als unverbindlich bezeichnet wird, aber aus Sicht eines neutralen Kaufmanns als ver­bindlich angesehen werden muss, weil insbesondere flankierende Maßnahmen wirtschaftli­che Anreizwirkung haben oder wirtschaftliche Nachteile in Aussicht stellen. Es ist daher un­bedingt darauf zu achten, dass die Preisempfehlungen nicht von Bitten oder Aufforderungen zu deren Beachtung, Rückvergütungen als Belohnungen oder dem Androhen von Liefer­stopps flankiert sind.

Da die Grenzen zwischen Erläuterung einer UVP und einer still­schweigenden Verständigung über die Einhaltung eines Mindestpreisniveaus oftmals schwer zu ziehen sind, kommt es nach dem Kartellrecht und der Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts stets auf die Kommunikation und die Umstände des Einzelfalls an. So wäre ein wiederholtes aktives Zugehen des Unternehmers auf konkrete Händler durch Anrufe oder Erinnerungs-Mails wegen der Einhaltung der empfohlenen Preise im kritischen Bereich einzuordnen.

Die Unterstützung des Händlers durch Preislisten, die er in sein eigenes EDV-System einpfle­gen kann, erscheint dagegen zulässig, wenn der Händler nicht ermuntert wird, sich an die Preisempfehlungen auch zu halten. Abweichungen der Händlerpreise nach oben und unten können in diesen Preislisten gekennzeichnet sein, wenn dadurch auf den Händler kein direkter oder zusammen mit anderen Preismaßnahmen indirekter Druck ausgeübt wird.

Das Recht zu UVP gilt dabei unabhängig von der Art des Vertriebs. UVP sind daher im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems, des aktiven Verkaufs oder des passiven Vertriebs sowie beim dualen Vertrieb und beim dualen Vertriebssystemen und auch beim zulässig. Solange der betroffene Händler den aus seiner Sicht für ihn günstigsten Preis bestimmen kann und ein empfohlener Verkaufspreis nicht durch unzulässigen Druck einer Vorgabe unterliegt, lassen die Vertikal-GVO 720/2022 sowie die neuen Vertikal-Leitlinien dies zu.

Sonderrolle MAP oder Street prices

Die neue Vertikal-GVO 720/2022 regelt klar die Unzulässigkeit so genannter verbindlicher “minimum advertised prices” (MAP), also den Mindestauszeichnungspreisen. Diese Mindestpreise, die der Händler auf Preisschildern auszeichnen muss, dann aber zu einem anderen Preis verkauft, ist etwa in den USA zulässig. Nach der neuen Vertikal-GVO 720/2022 sind MAPs oder street prices nur zulässig, wenn der Hersteller sie für das Angebot des Wiederverkäufers nur empfiehlt.

Will ein Händler aufgrund seiner freien Entscheidung die MAPs einhalten und kann er zur Prüfung im Händlerportal nach freiem Ermessen auf die Preislisten mit ent­sprechenden Kennzeichnungen zugreifen, ohne hierzu durch den Anbieter verpflichtet zu sein, dürfte dies ebenfalls zulässig sein. Da hier die Grenze zur Druckausübung leicht überschritten wer­den kann, sollte der Hersteller seine Mitarbeiter jedoch nochmals darauf hinweisen, dass flankierende E-Mails oder Anrufe, mit denen auf die Nichteinhaltung der MAPs hingewiesen wird, kartellrechtlich sehr problema­tisch sind und als Indiz für unzulässige wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen angesehen werden.

Höchstverkaufspreise

Höchstverkaufspreise dürfen nach der Vertikal-GVO 720/2022 gesetzt werden, entweder direkt durch den konkreten Betrag oder indirekt, etwa in Abhängigkeit von degressiven Rabatten. Voraussetzung ist jedoch, dass der als „Höchstpreis“ bezeichnete Preis wirtschaftlich kein verkappter Mindestpreis ist. Entscheidend ist also nicht die Bezeichnung oder formale Ausgestaltung, sondern die wirt­schaftliche Auswirkung für das Angebot des Händlers.

Zulässige, aber risikobehaftete Maßnahmen

Die folgenden Maßnahmen sind auch nach den Vertikal-GVO 720/2022 nicht per se Wettbewerbsbeschränkungen und damit für sich genommen kartellrechtlich zulässig. Ihre Ausübung birgt jedoch nach Auffassung der Kartellbehörden ein Risiko und sollte daher stets im Einzelfall auf ihre Zulässigkeit geprüft werden.

Wiederholte Thematisierung der UVP

Das wiederholte Ansprechen

  • des Wiederverkaufspreises des jeweiligen Händlers oder
  • einer maximal möglichen Unterschreitung einer unverbindlichen Preisempfeh­lung oder
  • eines sonst empfohlenen Verkaufs- oder (Aktions)preises

ist nur erlaubt zulässig, solange die Grenze zu einem Beeinflussungsversuch nicht überschritten ist. Das Bundeskartellamt ist hier besonders sensibilisiert. Ein kartellrechtliches Risiko besteht insbesondere dann, wenn die „Thematisierung“ des empfohlenen Verkaufspreises über die Erläuterung der Gründe für die erstmalige Übermittlung von unverbindlichen Preisempfehlungen und die grundsätzliche Preisstrategie für die Posi­tionierung und Vermarktung der Produkte hinausgeht. Bereits die nochmalige Kontaktaufnahme nach Übersendung der unverbindlichen Preisempfehlung kann ausreichen, um den beteiligten Unternehmen eine Abstimmung ihres Marktverhaltens zu ermöglichen. Dies gilt insbesondere dann, wenn bei dieser nochmalige Kontaktaufnahme indirekt Druck ausgeübt oder wirtschaftliche Anreize ge­setzt werden.

Kalkulationshilfen

Die bloße Bereitstellung von Kalkulationshilfen oder von Anleitungen zur Verkaufspreisberechnung durch den Hersteller an Händler begegnet per se ebenfalls keinen kartellrechtlichen Bedenken. Sie sind jedoch kritisch, wenn sie mit wirtschaftlichen Anreizen oder Nachteilen verbunden werden. Entscheidend ist hier die Ausgestaltung im Einzelfall.

Preisangaben auf Verpackungen

Preisangaben und Preisaufdrucke lassen sich mit der Vorgabe von Fixpreisen vergleichen. Denn der Händler wird davon abgehalten, einen eigenen Preis zu setzen. Denn dem Kunden würde so Preisvergleich ermöglicht und davon abgehalten, den Händler auf einen niedrigeren Preis anzusprechen. Im Rahmen einer Gesamtschau können daher nach der Vertikal-GVO 720/2022 auch Aufdrucke oder Aufkleber mit der unverbindlichen Preisempfehlung auf den Produktverpackungen bedenklich sein, wenn sie nicht zugleich den Hinweis auf die unverbindliche Preisempfehlung oder einen Höchstpreis enthalten und der MI-Einzelhändler davon abgehalten wird, seine Wiederverkaufspreise trotzdem frei zu bestimmen.

Maßnahmen, die zur Unzulässigkeit an sich erlaubter Maßnahmen führen können

An sich erlaubte Preismaßnahmen können unzulässig werden, wenn sie mit verbotenen Maßnahmen verknüpft werden. Das Bundeskartellamt legt hier ein besonderes Augenmerk auf so genannte „Plusfaktoren“, die über die bloße Kontaktaufnahme hinaus als Indizien für eine Vereinbarung oder ein abgestimmtes Verhalten hinsichtlich Wiederverkaufspreise gewertet werden können und müssen. Zu diesen “Plusfaktoren“ können insbesondere ein vom herstellenden Unternehmen betriebenes Preisüberwachungs- und durchsetzungssystem, das Drohen mit oder das Verhängen von Liefersperren oder Preispflegesysteme gehören.

Unzulässige Vorgaben eines Unternehmens nach der Vertikal-GVO 720/2022 sind insbesondere

  • Höchstmargen oder Höchstrabatte, die der Händler seinen Kunden gewähren darf
  • Rabattgewährung und Werbekostenzuschüsse in Abhängigkeit von der Einhaltung von unverbindlichen Preisempfehlungen. Nach der neuen Vertikal-GVO sind jedoch solche Maßnahmen ohne Preisbindung als dual pricing zulässig, wenn das herstellende Unternehmen so Investitionen des Händlers in den stationären Handel fördern will
  • Feste Absatzspannen, insbesondere in Form von Preisgleitklauseln
  • Verknüpfung von Wiederverkaufspreisen mit allgemeinen Marktpreisen, insbesondere den Preisen von Wettbewerbern
  • Unterstützung von Werbemaßnahmen in Abhängigkeit von der Einhaltung konkreter (Aktions)preise

Unzulässig sind auch nach der neuen Vertikal-GVO 720/2022 vertikale Vereinbarungen bzw. abgestimmte Verhaltensweisen, die für sich genommen wirtschaftliche Anreize bzw. Nachteile bewirken oder bezwecken oder an sich zulässige Maßnahmen mit solchen wirtschaftlichen Anreizen bzw. Nachteilen verknüpfen:

  • Sonderrabatte, Sonderrückvergütungen oder sonstigen Vergütungen bei Einhaltung eines Preisniveaus
  • Marken- oder Preispflegerabatte
  • Aktionspreisunterstützungen
  • Spannenausgleichszahlungen oder
  • Gewährung sonstige Vorteile oder die bevorzugte Behandlung für die Einhaltung einer Mindest-Händlermarge auf den Herstellerabgabepreis

Der Hersteller darf an sich zulässige Maßnahmen insbesondere nicht mit folgenden wirtschaftlichen Nachteilen verknüpfen, weil hierdurch ein unverbindlicher Verkaufspreis durch unzulässigen Druck wirtschaftlich zu einem verbindlichen Preisgestaltung wird:

  • Drohungen, Einschüchterungen, Warnungen
  • Auslistungen
  • Konditionenverschlechterungen
  • Beendigung, Verzögerung, Aussetzung oder Beschränkung von Lieferungen
  • Streichung oder Verringerung von Aktionen, Platzierungen oder Bild- und Markennutzungsrechten
  • Vertriebswegeeinschränkungen
  • Strafen oder
  • Vollständige oder teilweise Vertragskündigungen wegen der Nichteinhaltung einer vertikalen Preisempfehlung.

An sich zulässige Maßnahmen können grundsätzlich auch dann nach geltendem Kartellrecht und der neuen Vertikal-GVO 720/2022 unzulässig werden, wenn sie in einer Bündelung auftreten, die bei einer vernünftigen wirtschaftlichen Würdigung eine freie Preisfestsetzung durch den Händler nicht mehr gewährleistet. Dies gilt auch, wenn statt Listen mit unverbindlichen Preisempfehlungen nur die Abweichungen der Händlerverkaufspreise von den empfohlenen RMAP’s mitgeteilt werden.

Preisvergleiche

Preisvergleiche, insbesondere auf entsprechenden Preisvergleichsportalen, sind für Endkunden, die sparen wollen, eine wichtige Entscheidungshilfe, die nach der neuen Vertikal-GVO 720/2022 geschützt wird. Will ein Wiederverkäufer sein Angebot an Produkten für einen Preisvergleich öffnen, darf ihm der Hersteller dies nicht durch vertikale Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltenweisen verwehren. Insbesondere die vorgenannten Maßnahmen, die den Händler zur Einhaltung eines Verbots eines Preisvergleichs anhalten sollen, sind nach der Vertikal-GVO 720/2022 verboten.

Konsequenzen bei Verstößen

Das bloße Überreichen einer Liste mit Empfehlungen für Wiederverkaufspreise durch einen Lieferanten ist kein Tatbestand, der eine vertikale Preisbindung des Händlers als solche bewirkt. Der Hersteller darf bei der Übermittlung dieser Liste auch auf die Gründe für die Preisempfehlung hinweisen und erklären, welche Strategien der Anbieter für die Positionierung und Vermarktung der Produkte verfolgt. Die Empfehlung muss aber rechtlich und tatsächlich unverbindlich bleiben. Sie darf in der Folge durch die Händler nur dann umgesetzt werden, wenn sie dies aus einer autonomen wirtschaftlichen Entscheidung heraus tun. Bereits der Verdacht von Preisbindungen zwischen dem Anbieter und Händlern, auch durch mittelbar wirkende Maßnahmen, kann nach der Einschätzung des Bundeskartellamts, kartellrechtliche Ermittlungen auslösen. Verstöße können eine Ordnungswidrigkeit darstellen und mit Bußgeldern gegen das Unternehmen und auch gegen deren Geschäftsführer persönlich mit bis zu 10% des Gesamtunternehmensumsatzes geahndet werden. Dass auch die Geschäftsführer selbst von einem persönlichen Bußgeld betroffen sein können, wird dabei häufig übersehen

Anwalt Gesellschaftsrecht und Handelsrecht

Dr. Andrelang, LL. M.

Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht

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